Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Namen nach einer Stelle, aber es scheint, dass sie im Moment all die Hilfe haben, die sie brauchen.«
»Das ist in Ordnung, Mr Tugwell«, erwiderte Olivia und schob den Gedanken an ihre Mutter beiseite. »Ich bin mit meiner derzeitigen Anstellung zufrieden.«
Er nickte nachdenklich. »Wissen Sie, ich habe eine alte Freundin – eigentlich ist es eine Freundin meiner verstorbenen Frau –, die eine sehr erfolgreiche Mädchenschule in Kent besitzt. Falls Sie sich jemals beruflich verändern wollen, wäre es mir ein Vergnügen, Sie zu empfehlen.«
»Danke. Ich werde es im Kopf behalten.«
Der Pfarrer betrachtete Olivia über den Tisch hinweg. »Wie alt sind Sie, Miss Keene – fünfundzwanzig?«
Olivia nickte. Ihr fünfundzwanzigster Geburtstag lag noch nicht lange zurück, doch außer ihr hatte sich niemand daran erinnert.
»Und nicht verheiratet?«
Verlegen schüttelte Olivia den Kopf. Er musste das bereits wissen. Dachte er, es gäbe neben ihren anderen Geheimnissen noch einen geheimen Ehemann?
»Es ist erstaunlich, dass eine Frau wie Sie nicht schon längst von einem würdigen Mann erobert worden ist.«
Olivia lächelte zaghaft und biss ein kleines Stück von ihrem Kuchen ab.
»Waren Sie nie verliebt?«
Sie zuckte die Achseln. Die Richtung seiner Fragen wurde ihr immer unangenehmer, zumal unter den verletzlichen, aufmerksamen Augen von Eliza Ludlow.
»Aber bestimmt hat Ihnen schon einmal jemand den Hof gemacht?«, fragte er beharrlich weiter.
Sie zauderte. »Es gab einen jungen Mann, der mich bewunderte«, begann sie und hoffte, noch persönlichere Fragen zu verhindern. »Er war auf seine Art freundlich und charmant, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mit ihm verheiratet zu sein. Er arbeitete als Gehilfe bei einem Bürstenmacher, sortierte Haare und bündelte Borsten. Ich erinnere mich noch, wie stolz er auf seinen Lohn war. ›Ein Penny und Fourpence für zwanzig Knoten, ein halber Penny für jeden guten Besen.‹«
Miss Ludlow lächelte ermutigend. Dies rief ihr das Bild des jungen Mannes wieder ins Gedächtnis – er hatte dunkles Haar, warme braune Augen und ein lausbubenhaftes Lächeln gehabt. »Er war der einzige junge Mann im Dorf, den es nicht störte, dass ich wie ein Blaustrumpf redete und ständig las, obwohl seine einzige Lektüre nur die Zeitung war. Wir hatten sehr wenig gemeinsam.«
Olivia dachte an den Ärger, den Groll und den unbehaglichen falschen Frieden in einer Ehe zwischen zwei Menschen, die nicht zueinander passten, zurück. Sie hatte es täglich vor Augen gehabt. Sie hatte nicht den Wunsch, selbst in eine solche Lage zu kommen.
Sie schüttelte den Kopf, atmete tief durch und beendete ihre Geschichte. »Ich nehme an, die Mädchen im Dorf hatten recht. Vielleicht hielt ich mich für etwas Besseres.« Denn wer war ich denn in Wirklichkeit?, dachte sie. Nichts weiter als die Tochter eines Buchhalters und einer Dame aus eingeschränkten Verhältnissen.
Mr Tugwell nickte verständnisvoll, ohne etwas zu sagen. Seine Aufmerksamkeit wandte sich plötzlich Miss Ludlow zu, als sei ihm gerade eingefallen, dass sie auch anwesend war. »Und warum haben Sie nie geheiratet, Miss Ludlow?«
Miss Ludlow senkte den Kopf und das Blut stieg ihr in die Wangen. »Ich weiß es nicht«, murmelte sie mit einem wenig überzeugenden Lachen.
»Wir dachten alle, Sie würden den Müller heiraten«, sagte Mr Tugwell freundlich. »Er ist so ein wohlhabender, einflussreicher Mann.«
»Vielleicht hätte ich das tun sollen.« Miss Ludlows Ton klang fast bitter, und Olivia empfand tiefes Mitgefühl. Die ungeschickten Fragen des Pfarrers hatten bewirkt, dass sie sich unwohl fühlte. Hatte er wirklich keine Ahnung, was sie für ihn empfand?
Er hob die Brauen. »Er hat Ihnen also einen Antrag gemacht?«
Miss Ludlow nickte ruckartig.
»Vergeben Sie mir, Miss Eliza. Ich hatte nicht die Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen. Ich besitze die natürliche Neugier und Sorge eines Pfarrers für seine Herde. Es wundert mich nur, dass Sie nicht geheiratet haben.«
Sie sah ihm mit ihren gekränkten braunen Augen ins Gesicht. »Ich habe ihn nicht geliebt.«
»Aha …« Er nickte nachdenklich und starrte in seine Teetasse. »Nie verliebt gewesen … das ist ein guter Grund, um unverheiratet zu bleiben.«
Sie sah ihn ruhig an. »Das habe ich nicht gesagt, Sir.«
Er schien unsicher zu sein, was sie damit meinte, merkte aber schließlich, dass er sich in trübem, undurchdringlichem Gewässer befand. Er trank seinen
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