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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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geht.« Er legte jedem Kind eine Hand auf den Kopf.
    »Wir sind so fröhlich, jetzt, wo Miss Dowdle weg ist«, antwortete Andrew. »Kein Schulzimmer und keinen Unterricht mehr!«
    Olivia biss sich auf die Lippe.
    »Aber Miss Livie hat dafür gesorgt, dass wir unsere Gebete vor dem Frühstück lesen«, erzählte Audrey. »Und eine von Äsops Fabeln .«
    »Aha, welche denn?«
    »Der Wolf im Schafspelz.«
    Eine blonde Braue hob sich. »Was für eine interessante Wahl. Erinnerst du dich an die Moral?«
    »Betrüger und Lügner werden am Ende immer entlarvt«, antwortete Audrey. »Und sie büßen ihre Taten entsprechend.«
    »Ich hoffe, dass jeder von euch sich das merken wird.« Wieder huschte sein Blick zu Olivia, und sie spürte, wie sie verlegen errötete.
    Andrew grinste. »Livie hat Audrey noch einmal von vorn anfangen lassen, als sie versucht hat, eine ganze Zeile auszulassen. Audrey dachte, sie würde es nicht merken, aber sie hat es doch gemerkt!«
    Audrey senkte den Kopf.
    »Na schön, gewöhnt euch nur nicht zu sehr an ein Leben ohne Unterricht«, erklärte Lord Bradley, »Eure Mama wird sicher bald eine andere Gouvernante anstellen.«
    Andrew stöhnte auf.
    »Nun gut.« Lord Bradley klatschte in die Hände. »Wer möchte heute reiten?«
    Beide Kinder meldeten sich begeistert.
    »Fein.« Er schaute hoch und sein Lächeln verschwand, als seine Augen einen Punkt oberhalb von Olivias Kopf fixierten. »Bitte ziehen Sie ihnen ihre Reitkleider an und bringen Sie sie um zehn zu den Ställen.«
    Olivia nickte, aber innerlich seufzte sie auf. Als Lord Bradley den kleinen Alexander zu seiner Mutter hinunterbrachte, begann sie mit der Aufgabe, all die Schleifen und Schließen zu öffnen, die sie eben erst gebunden und zugemacht hatte.

     
    Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit führte Olivia ihre Schützlinge die Treppen hinunter und zur hinteren Gartentür hinaus. Um genau zu sein, waren es eher die Schützlinge, die Olivia führten. Audrey nahm Olivia an der Hand und wies ihr die Richtung, als wäre sie blind und nicht stumm. In der Zwischenzeit hopste Andrew mit seinen kleinen energiegeladenen Beinen über den feuchten Rasen. Er drehte sich um und lief rückwärts, um zu sehen, wie sie vorankamen. Sie hätte ihn gern ermahnt, vorsichtig zu sein, aber das konnte sie natürlich nicht.
    Andrew stolperte über eine Baumwurzel und wäre zu Boden gestürzt, hätte nicht der Mann mit den kastanienbraunen Haaren, den Olivia am Frühstückstisch gesehen hatte, einen Sprung vorwärts gemacht und ihn aufgefangen. Olivia drückte sich erleichtert die Hand auf die Brust und warf dem Stallknecht ein Lächeln zu.
    Er antwortete mit einem breiten Grinsen. Er sah nett aus – nicht zu groß, aber breitschultrig, mit heller sommersprossiger Haut und braunen Augen. Sie hatte ihn bereits bei der Jagd gesehen, wie sie sich jetzt erinnerte.
    »Ich bin Johnny Ross«, stellte er sich vor. »Und Sie sind das Mädchen, das nicht sprechen kann. Miss Livie, stimmt’s?«
    Sie nickte.
    »Hören können Sie aber?«
    Sie nickte wieder und versuchte, nicht zu grinsen. Natürlich konnte sie hören. Glaubte er, sie könne Gedanken lesen?
    »Bestimmt gibt es viele Männer, die gern ein Mädchen hätten, das nicht reden kann.« Er fügte hastig hinzu: »Ich nicht, ich meine, es macht mir nichts aus, wenn ein Mädchen nicht sprechen kann. Aber es macht mir auch nichts aus, wenn sie es kann.« Vor Verlegenheit lief sein Gesicht so rot an, dass man die Sommersprossen fast nicht mehr sehen konnte.
    Sie biss sich auf die Lippe, konnte sich aber diesmal ein Lächeln nicht verkneifen. Sie senkte den Kopf und ging an ihm vorbei, um Audrey und Andrew einzuholen. Sie waren weitergelaufen, um Lord Bradley zu begrüßen, der vor dem Stall stand und auf sie wartete. Es wäre ganz und gar nicht gut, wenn er sie im Gespräch oder besser gesagt, nicht im Gespräch mit dem Stallknecht ertappen würde.
    »Ich hoffe, ich sehe Sie später noch einmal, Miss«, rief Ross hinter ihr her.
    Als sie näher kam, warf Lord Bradley einen Blick auf seine Taschenuhr. »Genau auf die Minute. Hervorragend. Ich werde sie ins Kinderzimmer zurückbringen, wenn wir fertig sind.«
    Olivia wäre gern dageblieben und hätte den Kindern beim Reiten zugesehen, aber die Verabschiedung war unmissverständlich gewesen.
    Nachdem sie nun etwas Zeit hatte, ging Olivia in die Küche, in der Hoffnung auf ein Lächeln von Mrs Moore und einen Mandelkeks. Sie traf die Köchin über ihren Arbeitstisch

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