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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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    An diesem Abend hatte sich Olivia gerade bis auf ihr Unterhemd entkleidet, als es an ihrer Tür klopfte. Unwillkürlich öffnete sie den Mund, um »Ja, bitte?« zu rufen, aber es drang nur ein Krächzen hervor. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit und war erleichtert, das freundliche Hausmädchen Doris dort stehen zu sehen.
    »Machen Sie schnell, Schätzchen, und lassen Sie mich herein«, flüsterte sie.
    Olivia zog die Tür auf und schloss sie dann leise hinter dem rothaarigen Mädchen.
    »Sie wollen ja nicht, dass ich rausgeworfen werden, oder? Wenn Mrs H. mich hier drin erwischen würde, wie ich mit Ihnen rede … natürlich kann sie das nicht, was? – Sie können ja nicht reden! Ich kann mir das kaum vorstellen. Auf jeden Fall quasseln Sie nicht so unaufhörlich wie Edith.« Sie drückte Olivia ein zusammengedrücktes Bündel Stoff in die Hand. »Hier ist ein altes Nachthemd von mir. Sie können das haben, was davon übrig geblieben ist. Viel ist es nicht.«
    Danke , formte Olivia mit den Lippen und nahm es dankbar entgegen. Sie hatte sich nicht darauf gefreut, in der gleichen Unterwäsche zu schlafen, die sie schon seit Tagen trug. Nun konnte sie ihr Unterhemd auswaschen und es über Nacht trocknen lassen.
    »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen etwas sage?«, fragte Doris. »Ich muss es jemand erzählen, sonst platze ich. Und bei Ihnen ist es gut aufgehoben, nicht wahr?«
    Olivia nickte. Sie war sicher, dass sie nicht zu Wort gekommen wäre, selbst wenn sie hätte sprechen können.
    Doris, die noch immer voll angekleidet war, ließ sich aufs Bett fallen, schlug ein Bein über das andere und klopfte einladend auf die Matratze. Olivia setzte sich neben sie.
    »Es geht um Martha, das arme Ding. Sie hat sich wirklich etwas eingebrockt.« Doris lehnte sich dichter zu Olivia. »Sie bekommt ein Baby, und dabei ist sie nicht verheiratet, hat nicht einmal einen Liebsten, soweit ich weiß. Sie will nicht verraten, wer der Vater ist. Mrs H. hat das mit der Schwangerschaft herausgefunden, und das bedeutet, dass der Herr bald genug davon hören wird. Wissen Sie, was letztes Mal passiert ist, als sich ein Dienstmädchen in Schwierigkeiten gebracht hat?«
    Olivia schüttelte den Kopf.
    »Ich habe gehört, dass der alte Herr, der vierte Earl – oder war es der dritte – sie ohne große Umstände vor die Tür gesetzt hat. Ohne einen Penny in der Tasche. Wenn Sie also zu den Leuten gehören, die beten, dann schließen Sie Martha mit ein. Wenn bei ihr nicht längst alles verloren ist.«
    Allein beim Gedanken daran, sich in einer so schlimmen Lage zu befinden, zog sich Olivias Magen zusammen. Die arme Martha!
    Doris neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sie mit ernstem Blick. »Ich habe mich gefragt, was mit Ihnen los ist, Schätzchen. Wie es kommt, dass Sie hier sind. Kein Leumundszeugnis, kein Koffer – ich vermute, Sie sind von zu Hause weggelaufen, oder?«
    Zu bestürzt, um es zu bestreiten, nickte Olivia.
    »Das habe ich mir gleich gedacht. Ein Mann steckt dahinter, kein Zweifel. Ein grausamer Ehemann vielleicht?«
    Olivia schüttelte den Kopf.
    »Dann also Ihr Vater. Ist er ein gemeiner Kerl? Ein Taugenichts?«
    Olivia nickte wieder und Tränen schossen ihr in die Augen bei diesem unerwarteten Mitgefühl. Was für eine Erleichterung, mit jemandem zu reden, selbst wenn sie kein Wort sagen konnte.
    Doris drückte ihre Hand. »Meiner auch. Hat meine Mutter im Stich gelassen, als mein Bruder und ich noch ganz klein waren. Ich musste arbeiten, seit ich zehn war. Dieser Schurke!«
    Olivia vertrieb ihre Tränen mit einem Blinzeln und lächelte das Mädchen an.
    »Na gut, ich sollte schnell in mein Zimmer zurückrennen, bevor Martha sich wundert, wo ich bleibe. Und bitte kein Wort über das, was ich Ihnen erzählt habe. Aber das können Sie ja nicht, oder?«
    Doris legte die Arme um Olivia und drückte sie fest an sich, bevor sie aufsprang und zur Tür eilte. Sie öffnete sie einen Spalt, spähte den Korridor hinunter und warf ihr dann über die Schulter ein Lächeln zu.
    »Gut Nacht, Schätzchen.« Und schon war sie verschwunden.
    Olivia betete nicht so oft, wie sie sollte, aber jetzt, als sie von einer Frau gehört hatte, die in größerer Not war als sie selbst, war es ihr wichtig, für sie zu beten.

     
    Der folgende Nachmittag war so schön, dass Olivia mit den Kindern nach draußen ging, damit sie etwas Bewegung bekamen. Sie und Audrey spazierten auf dem Rasen entlang, während Andrew

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