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Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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woanders hinzusehen. Ihre Handfläche prickelte, und sie war so atemlos, wie sie es bei den Stürzen gewesen war, ehe sie gelernt hatte, wie man schmerzlos zu Boden ging.
    »Ist es nicht befriedigender, ein Bild zu malen, als einen Menschen zu töten, Nell? « fragte er leise. Er ließ von ihr ab und ging aus dem Raum.
    Am nächsten Tag kam Michaela mit zwei großen Kartons von der Ranch.
    Nell kauerte wie gewöhnlich mit ihrem Skizzenblock auf dem Küchenhocker, als sie die Kartons in der Ecke stehen sah. Sie waren offen und randvoll mit Kleidern gefüllt. »Was ist das? «
    Michaela blickte auf die Kartons. »Nur ein paar alte Kleider, die ich heute nachmittag nach Lasiter bringen will. Der baskische Wohltätigkeitsverein veranstaltet am Samstag einen Basar. Ich muss die Kartons noch ins Auto laden, aber vorher wollte ich noch nachsehen, ob vielleicht irgendwas genäht werden muss.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Kinder gehen nun mal nicht sonderlich sorgsam mit ihren Sachen um.«
    »Kinder? «
    »Ich habe zwei Enkel. Habe ich Ihnen das noch nicht erzählt? «
    Michaela als Großmutter. Der Gedanke kam Nell seltsam vor.
    Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie diese Frau ein Enkelkind auf ihren Knien schaukelte.
    »Meine Tochter Sara hat einen Sohn und eine Tochter«, sagte Michaela. »Sechs und acht. Legen Sie den Block weg, und helfen Sie mir, das Zeug ins Auto zu tragen.«
    Gehorsam legte Nell den Block auf den Schlachtblock und stand auf.
    »Sie nehmen den hier.« Michaela gab ihr einen der Kartons.
    »Das Auto steht im Hof.« Sie nahm den anderen Karton und trat durch die Küchentür.
    Mit grimmiger Miene stapfte Nell hinterher. Statt zur Großmutter eignete sich Michaela eindeutig zum General.
    Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie ihre Kompanie  zusammentrommelte und...
    Etwas fiel aus dem Karton auf den Boden, und sie blieb stehen.
    Es war ein Tennisschuh, ein sehr kleiner, roter Tennisschuh.
    Ein Kinderschuh. Wie oft hatte sie solche Schuhe aufgehoben und in den Schrank geworfen, nachdem sie Jill ins Bett gebracht hatte?
    Sie hockte reglos vor dem Schuh.
    Starrte ihn an.
    Jill.
    »Beeilen Sie sich, ich muss wieder zu meinem Ofen zurück«, rief Michaela voller Ungeduld.
    Nell zwang sich, den Schuh aufzuheben. Sie kauerte auf dem Boden, den Schuh in der Hand. Er fühlte sich so gut an, so...
    vertraut.
    »O Gott«, flüsterte sie und wiegte sich, den Schuh an die Brust gedrückt, vor und zurück. »Nein... nein... nein...«
    »Was ist...« Michaela stand in der Tür und zögerte, ehe sie zu Nell hinüberging. »Oh, Sie haben einen Schuh fallen gelassen.«
    Sie nahm ihn Nell ab und warf ihn in den Karton zurück. »Ich nehme ihn. Gehen Sie und waschen sich das Gesicht. Sie haben einen Fleck auf der Backe.«
    Sie nahm den Karton und trat in den Hof, und Nell stand langsam auf und ging ins Bad. Kein Fleck. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Wie dämlich. Zusammenzubrechen wegen eines Schuhs. Sie hatte keine Kontrolle über ihre Träume, aber sie hatte gedacht, tagsüber hätte sie sich in der Gewalt, tagsüber wäre sie hart, gegen den Schmerz gefeit. Bliebe es etwa für den Rest ihres Lebens so?
    »Trödeln Sie nicht rum.« Michaela stand vor der
    Badezimmertür. »Sie müssen mir noch die Kartoffeln schälen.«
    Michaela hatte sie noch nie gebeten, ihr bei den
    Essensvorbereitungen behilflich zu sein. Sie betrachtete die
    Küche als ihr persönliches Reich. Sie hatte Nells Augenblick der Schwäche ignoriert, und jetzt versuchte sie, sie zu beschäftigen.
    Sie war wirklich eine Seele von Mensch.
    »Ich komme.« Nell öffnete die Tür. »Es tut mir leid, dass ich...«
    »Dass Sie was? Sie haben sich ungeschickt angestellt und einen Schuh fallen gelassen.« Michaela machte kehrt und ging in die Küche zurück. »Ihr Geschwätz interessiert mich nicht. Kommen Sie lieber endlich, und helfen Sie mir. «
    »Gut.« Nicholas hielt die Skizze ins Licht. »Sie haben sie getroffen.«
    Nell schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Es ist verdammt frustrierend, zu versuchen, jemanden zu zeichnen, der ständig durch die Gegend flattert, wie Michaela es tut.«
    »Michaela flattert nicht. Dazu ist sie nicht graziös genug.«
    »Wie auch immer.« Nell nahm die Skizze und schob sie in die Mappe zurück. »Aber ich denke, dass ich morgen mit den Ölfarben anfangen kann.« Sie sah ihn an. »Ist das nicht vielleicht einen Bonus wert? «
    »Nein.« Er kniete sich vor den Kamin und stocherte in den Flammen herum. »Wir

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