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Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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berührt hatte, hatte er ihr wehgetan.
    Außer als er ihr mit den Knöcheln seiner Hand über die Wange gefahren war. Das hatte nicht wehgetan.
    Aber dieser Augenblick der Sanftheit hatte sie stärker aus dem Gleichgewicht gebracht als seine Brutalität.
    Am besten dächte sie nicht länger darüber nach. Sie schloss die Augen und nahm die Wärme des Wassers in sich auf. Am besten dächte sie nur noch über die Vorbereitung des nächsten Trainings nach.
    »Fertig? « Tanek winkte sie abermals heran. »Auf geht's.«
    Sie stand da und sah ihn an. Sein Gesicht verriet keinerlei Gefühl. »Und heute brechen Sie nicht wieder einfach ab? «
    »Nein. Aber Sie werden sich noch wünschen, ich täte es.«
    Sie griff ihn an.
    Er warf sie herum, und krachend schlug sie auf der Matte auf.
    »Sie sind zu steif. Sie spüren Ihre Knochen noch viel zu stark.
    Wenn Sie den Boden berühren, rollen Sie sich ab, und springen Sie sofort wieder auf.«
    Bleib locker, sagte sie sich, während sie sich mühsam hochrappelte. Bleib locker.
    Das war leichter gesagt als getan. Wenn man im hohen Bogen durch die Luft segelte, spannte man die Muskeln ebenso natürlich an, wie man atmete.
    Am Ende der Stunde war sie so schwach, dass ihre Anspannung von selbst verloren ging.
    Er stand über ihr. »Sollen wir aufhören? «
    »Nein.« Sie kämpfte sich hoch und blieb schwankend vor ihm stehen. »Noch mal.«
    Nach weiteren dreißig Minuten Schwerstarbeit hob er sie hoch, trug sie in ihr Zimmer und warf sie auf ihr Bett. »Erinnern Sie mich dran, dass ich Sie nicht noch mal das Tempo des Unterrichts bestimmen lasse. Sie würden sich glatt von mir umbringen lassen, wenn Sie dächten, dass es Sie weiterbringt.«
    Mit diesen Worten verließ er den Raum.
    Sie würde sich kurz ausruhen und zwänge sich dann zu einem Bad. Himmel, ihr taten sämtliche Knochen weh. Sie schloss die Augen. Morgen würde sie dran denken, locker zu bleiben, wenn sie zu Boden ging. Morgen würde sie sich abrollen und aufspringen...
    Etwas Nasskaltes drückte gegen ihre Hand, die über die Bettkante hing, und sie blinzelte.
    Sam. Offenbar war er Tanek in ihr Schlafzimmer gefolgt und kam nun nicht mehr raus.
    »Willst du in den Flur? « fragte sie. »Da musst du schon einen Augenblick warten, denn ich kann mich einfach nicht rühren.
    Ich bin nicht allzu gut in Form.«
    Der Schäferhund sah sie an, und legte sich neben das Bett.
    Er akzeptierte ihre Antwort. Offenbar kannte er sich mit Schmerzen aus und bot ihr Trost.
    Zögernd streckte sie die Hand aus und strich ihm über den Kopf.
    Am nächsten Tag versteifte sie sich nicht, als er sie auf den Boden warf, doch das Abrollen und das Aufspringen kamen ihr  wie unerreichbare Ziele vor.
    Einen Tag später rollte sie sich während der ersten Stürze ab, aber irgendwann wurde sie von der Erschöpfung
    niedergestreckt.
    Am dritten Tag entspannte sie sich, rollte ab und sprang wieder auf. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie ein meisterhaftes Bild gemalt. Allmählich klappte es!
    »Gut«, sagte Tanek. »Noch mal.«
    Zwei Tage lang schaffte sie es nicht noch mal, denn er sorgte dafür, dass sie immer härter und schneller zu Boden ging.
    Sie verbrachte täglich zwei Stunden im Fitnessraum, und wenn sie nicht trainierte, dachte sie darüber nach und bereitete sich geistig und körperlich auf die nächste Begegnung mit Tanek vor. Sie malte, sprach mit Michaela, aß und schlief, aber neben dem Training kam ihr alles andere unwirklich vor. Sie hatte das Gefühl als lebe sie in einem Kokon, in dem es nichts außer der dominanten Gestalt Taneks, dem Fitnessraum und den Stürzen gab.
    Aber sie gewann an Kraft, Behendigkeit, Schnelligkeit. Bald hätte Tanek keine vollkommene Kontrolle mehr über sie.
    Tanek hörte das Geräusch leiser Schritte vor seiner Tür.
    Nell hatte ihr Schlafzimmer verlassen. Wieder hatte sie diesen Traum.
    Tanek rollte sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit.
    Tania hatte ihm von den Alpträumen erzählt, aber davon zu hören und zu sehen, wie Nell um ihr Überleben kämpfte, waren zwei verschiedene Paar Schuh. Er war ihr ein paar Mal unbemerkt gefolgt, hatte ihr tränenüberströmtes Gesicht gesehen und gewusst, dass sie nicht wollte, dass er ihre Schwäche sah.
    Jedes Mal ging sie ins Wohnzimmer, rollte sich auf der Couch zusammen und betrachtete den Delacroix, oder sie ging ans
    Fenster und blickte zu den Bergen auf. Nach ein oder zwei Stunden kehrte sie dann in ihr Schlafzimmer zurück.
    Schlief sie

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