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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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«Warum?»
    «Ist das so wichtig, Henry?», fragte Martin wie beiläufig, auf sein Tun konzentriert. «Wichtiger ist, dass du jetzt die Klappe hältst.»
    Henry wehrte sich mit Worten. Solange er sprach und die Lippen bewegte, wurde Martin in seinem Vorhaben gestört. Um zu verhindern, dass der ihm den Mund zunähte, war Henry bereit, stundenlang zu reden.
    «Sag es mir.»
    Martin wartete nicht darauf, dass die Lippen stillhielten, und stach zu.
    «Das ist eine lange Geschichte», sagte er.
    Es war wieder die Oberlippe, durch die er den Faden zog, der nun gleichzeitig an der Unterlippe zerrte.
    «Ich will sie hören.»
    «Du kennst sie wahrscheinlich schon», entgegnete Martin.
    Er nähte weiter und sprach im Plauderton, während sich Henry vor Schmerzen wand.
    «Ich weiß, du warst im Schlafzimmer meiner Schwester. Also hast du auch das Foto von meinem Vater gesehen. Seinetwegen hat Deana einen Narren an dir gefressen. Aus keinem anderen Grund. Deine Narben erinnern sie an ihn. Die Ähnlichkeit ist –»
    Er durchbohrte Henrys Unterlippe.
    «– wirklich verblüffend. Mir ist sie natürlich auch aufgefallen. Du bist sein Wiedergänger, sein Geist, und du weißt ja, was man über Geister sagt. Sie wollen endlich Ruhe finden.»
    Jetzt machte er sich wieder an der Oberlippe zu schaffen.
    «Aber dafür konnte ich nicht gleich als Erstes sorgen, das wäre fatal gewesen. Ich musste vorher ein bisschen üben.»
    Unterlippe.
    «Deshalb habe ich mir George vorgeknöpft. Er war so groß wie du. Das ist mir aufgefallen, als ich über die Beisetzung seines Schwagers zu berichten hatte, und ich habe mir gedacht, Erfahrung sammeln kann nicht schaden, bevor ich mich der eigentlichen Aufgabe zuwende.»
    Oberlippe.
    «Troy war der Nächste. Zugegeben, er war jünger und sah viel besser aus als du, hatte aber als Einziger in Perry Hollow ungefähr deine Statur, jede Menge Muskeln und war wirklich kräftig.»
    Unterlippe.
    «Tja, und Amber Lefferts ist genauso bleich wie du. Schade, dass ich sie nicht im präparierten Zustand habe sehen können. Wirklich schade. Hoffentlich missrätst du mir nicht, weil ich in der Hinsicht zu wenig Übung hatte.»
    Oberlippe.
    Henrys Mund war jetzt fast verschlossen. Zum Sprechen blieben ihm nur die Mundwinkel, durch die er seine Worte presste.
    «Du … brauchst … mich … nicht … töten.»
    Martin schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. «Oh doch. Erst dann ist es vorbei, erst, wenn ich dich präpariert habe. So wie meinen Daddy.»
    Er nähte weiter.
    «War schwer, an dich heranzukommen. Immer allein. Immer eingesperrt in deinem Büro. Deshalb habe ich dir die Faxe geschickt. Nur damit hast du dich locken lassen. Deshalb hab ich dir heute den Namen von Campbells Jungen geschickt. Als ich von Deana erfahren habe, dass du die Stadt verlassen willst, musste ich schnell reagieren. Ich brauchte einen Köder. Mir war klar, wenn du den Namen des Jungen liest, wirst du bleiben und versuchen, ihn zu retten. Es hat geklappt.»
    Alarmierend schnell führte Martin seine Arbeit aus.
    Unterlippe.
    Oberlippe.
    Schließlich zog er die Nadel vom Faden und verknotete die losen Enden.
    Henrys Mund war jetzt zugenäht. Seine Schreie blieben in seiner Kehle.
    Ohne weiter auf ihn zu achten, entfernte sich Martin. Wenig später kehrte er zurück und legte direkt neben Henrys Kopf etwas auf den Tisch. Aus den Geräuschen schloss Henry, dass es sich um eine Stofftasche mit schwerem Inhalt handelte.
    «Mein Werkzeug», sagte Martin aufgeräumt. «Erstaunlich, was man alles übers Internet beziehen kann. Formaldehyd. Chloroform. Aneurysma-Haken. Per Mausklick und frei Haus.»
    Henry riss entsetzt die Augen auf, als Martin sich wieder über ihn beugte. Er hielt ein metallenes Werkzeug in der Hand und gab ihm Gelegenheit, einen Blick darauf zu werfen.
    Ein Skalpell, das im Licht glänzte.
    «Ich glaube, du weißt, was jetzt kommt», sagte Martin.

Siebenunddreißig
    Mit dem Auto brauchte man für die Strecke vom Krankenhaus zur Perry Mill normalerweise fünfzehn Minuten. Kat schaffte es in sechs.
    Als sie auf die Schotterpiste einbog, die zum Sägewerk führte, schaltete sie die Scheinwerfer aus. Als sie sich dem einzig verbliebenen Gebäude bis auf hundert Meter genähert hatte, schaltete sie den Motor aus und sprang nach draußen.
    Die Mühle, die nah am Seeufer stand, ragte wie ein riesiger Grabstein in den Sternenhimmel. Und der See war das Grab. Mit Schrecken dachte Kat, dass Henry hier womöglich schon

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