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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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Entschlossenes. Vielleicht wäre Kat seinen Erwartungen halbwegs gerecht geworden, hätte sie Gelegenheit gehabt, ihren Kaffee zu trinken. Stattdessen ließ sie den Becher sinken und betrachtete, wie Jasper sie betrachtete.
    Sie wusste, was ihm durch den Kopf ging. Sie las es seinen Augen ab. Er sah eine Frau, die einen Meter fünfzig groß war, fünf Kilo Übergewicht hatte und auf die vierzig zuging. Eine Frau, die ihre blonden Haare dunkler tönte, um ernst genommen zu werden. Eine Frau mit verquollenen Augen, weil die Heizung streikte und ihr Sohn die halbe Nacht gehustet hatte. Vor allem sah er eine Frau, die in Uniform und mit Polizeimarke auf dem Gehweg herumlungerte, statt unverzüglich die Ermittlungen im ersten Fall von Diebstahl aufzunehmen, den es in dieser Stadt seit über einem Jahr gab.
    Kat fragte: «Was ist Ihnen denn geklaut worden?»
    «Ich zeig’s Ihnen.»
    Sie folgte ihm über die Main Street, die schneller wach wurde als sie selbst. Lisa Gunzelman schloss ihren Antiquitätenladen auf, und Adrienne Wellington zupfte im Schaufenster ihrer Boutique an einem geblümten Kleid herum. Auch auf der anderen Straßenseite bereiteten sich die Ladenbesitzer auf einen neuen Geschäftstag in Perry Hollow, Pennsylvania, vor.
    Ihre Mühe war umsonst. Seit dem Ansturm vor Weihnachten kamen nur noch wenige Kunden, einfach, weil es im Januar und Februar zum Einkaufen zu kalt war. Jetzt war Mitte März, und obwohl in den Schaufenstern bereits kurze Hosen, Sonnenbrillen und Tank-Tops ausgestellt waren, ließ der Frühling auf sich warten. Vor zwei Tagen erst hatte ein heftiger Nordoststurm fast fünfzehn Zentimeter Neuschnee über der Stadt ausgeschüttet. Darauf war arktische Kälte gefolgt, die die Schneeberge am Straßenrand hatte gefrieren lassen. Um einen solchen ging Kat herum, als sie Jasper in seinen Laden folgte, der nur zwei Türen von der Boutique entfernt lag.
    Im Inneren von
Awesome Blossoms
steuerte er geradewegs auf die Hintertür zu und öffnete sie. Kat ging hinter ihm her und befand sich auf einem leeren, spiegelglatten Parkplatz hinter dem Haus. Erst jetzt verstand sie, worum es ging. Jaspers Lieferwagen – ein weitverbreiteter weißer Ford, auf dessen Seitenwände der Name seines Ladens gemalt war – war in der Nacht gestohlen worden.
    «Sind Sie sicher, dass Sie ihn hier abgestellt haben?»
    «Natürlich.»
    «Sie finden die Frage vielleicht überflüssig», sagte Kat. «Aber das muss ich wissen, wenn Sie wollen, dass ich Ihren Wagen wiederfinde.»
    Jasper zeigte auf einen eisfreien Fleck. «Da hat er gestanden.»
    «Hat außer Ihnen sonst noch jemand Schlüssel für den Wagen?»
    «Im Handschuhfach liegen Ersatzschlüssel für den Fall, dass jemand anders Ware ausliefern muss.»
    «Lassen Sie mich raten. Sie haben den Wagen nie abgeschlossen.»
    Jasper konnte sich die Antwort sparen. Sein Schnauzbart sprach für ihn. Er hing schlaff herab und bestätigte Kats Vermutung.
    Fahrlässig, aber durchaus nachvollziehbar. Perry Hollow
war
die Art Stadt, in der man den Zündschlüssel stecken lassen und sicher sein konnte, dass das Auto nicht gestohlen wurde. Bis jetzt, offenbar.
    «Keine Sorge», sagte sie. «Wir werden den Wagen finden. In der Stadt weiß jeder, wie er aussieht. Wahrscheinlich haben ein paar Teenager eine Spritztour gemacht und ihn hinter dem
Shop and Save
abgestellt.»
    Kat hatte angenommen, Jasper wäre nach dieser Theorie erleichtert, aber er verzog besorgt das Gesicht.
    «Im Handschuhfach war noch etwas, Chief.»
    «Was?»
    Jasper zögerte einen Moment. «Eine Pistole.»
    Kat ächzte. Das war vielleicht nicht angemessen, aber immerhin besser, als dem ersten Impuls nachzugeben und dem Floristen an die Gurgel zu springen. Wie konnte man nur so dumm sein, eine Waffe im Handschuhfach eines nicht abgeschlossenen Lieferwagens liegen zu lassen? Und warum hatte er überhaupt eine Pistole?
    «Zu meiner Sicherheit», antwortete Jasper auf die unausgesprochene Frage, die wie eine Wäscheleine zwischen ihnen in der Luft hing. «Falls ich überfallen werde. Das Ding ist angemeldet und alles.»
    Dass er in seinem Wagen überfallen würde, stand nicht zu befürchten, es sei denn, er lieferte auch in West Philadelphia aus.
    «War sie geladen?», fragte Kat.
    Jasper nickte traurig, das Problem war also größer als bislang angenommen. Sie musste den Wagen finden. Pronto. Und hoffentlich lag die Pistole noch an ihrem Platz.
    Mit zügigen Schritten ging sie durch den Laden zurück auf die Main

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