Das Schweigen des Glücks
seiner Stimme entfesselte eine Flut von Gefühlen in ihr: Liebe und Freude, Schmerz und Wut; die Einsamkeit und die stille Verzweiflung der letzten Wochen.
Sie konnte das alles nicht noch einmal durchmachen. »Was machst du hier, Taylor?«
In ihrer Stimme schwang mehr Bitterkeit, als Taylor erwartet hatte. Er atmete tief ein.
»Ich bin gekommen, um zu sagen, wie Leid es mir tut«, begann er stockend. »Ich wollte dir nicht wehtun.« Es hatte eine Zeit gegeben, da wollte sie diese Worte hören, aber seltsamerweise bedeuteten sie ihr jetzt nichts.
Sie warf einen Blick zurück zum Auto, auf Kyle, der auf dem Rücksitz schlief.
»Dafür ist es zu spät«, sagte sie.
Er hob ein wenig den Kopf. Im Schein der Verandalampe sah er älter aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, fast so, als wären Jahre verstrichen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er entrang sich ein schmallippiges Lächeln, senkte den Blick wieder und zog die Hände aus den Taschen. Zögernd machte er einen Schritt auf den Truck zu.
Früher wäre er weitergegangen und hätte sich gesagt, er habe es ja versucht. Aber diesmal zwang er sich stehen zu bleiben.
»Melissa zieht nach Rocky Mount«, sagte er in die Dunkelheit hinein, den Rücken ihr zugekehrt.
Denise fuhr sich gedankenverloren mit der Hand durchs Haar.
»Ich weiß. Sie hat es mir vor zwei Tagen erzählt. Bist du deswegen hier?«
Taylor schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich bin hier, weil ich über Mitch sprechen wollte.«
Er murmelte die Worte, so dass Denise ihn kaum verstehen konnte. »Ich dachte, vielleicht hörst du mir zu.
Ich weiß nicht, zu wem ich sonst gehen soll.«
Seine Verletzlichkeit rührte und überraschte sie und einen kurzen Moment lang wäre sie fast zu ihm gegangen.
Aber sie konnte nicht vergessen, was er Kyle – beziehungsweise auch ihr – angetan hatte.
Ich kann das alles nicht noch einmal durchmachen. Aber ich habe auch gesagt, ich wäre für dich da, wenn
du mit jemanden sprechen möchtest.
»Taylor…. es ist sehr spät, vielleicht morgen?«, fragte sie sanft. Taylor nickte, als hätte er erwartet, dass sie das sagen würde. Sie dachte, er würde nun gehen, aber merkwürdigerweise rührte er sich nicht vom Fleck. In der Ferne hörte Denise schwaches Donnergrollen. Die Temperaturen gingen zurück und wegen der Feuchtigkeit schien es noch kälter, als es tatsächlich war. Ein dunstiger Ring umgab das Verandalicht und glitzerte wie ein Kranz winziger Diamanten. Taylor drehte sich wieder zu ihr um. »Ich wollte dir auch von meinem Vater erzählen«, sagte er langsam. »Es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst.«
An seinem angespannten Gesichtsausdruck erkannte sie, wie schwer es ihm gefallen war, die Worte zu sagen. Fast schien er den Tränen nahe, als er so vor ihr stand. Diesmal musste sie sich abwenden.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu dem Tag des Sommerfests, als er sie gefragt hatte, ob er sie nach Hause fahren dürfe. Sie hatte sich gegen ihre Intuition entschieden und nach einer Zeit eine schmerzliche Lektion erteilt bekommen. Jetzt stand sie wieder vor einer Weggabelung und zögerte abermals. Sie seufzte.
Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, Taylor. Es ist spät,
Kyle schläft schon. Ich bin müde und glaube nicht, dass
ich das jetzt aufnehmen kann.
Sie dachte, das würde sie sagen.
Was sie jedoch tatsächlich hervorbrachte, war etwas anderes.
»Also gut.«
Er sah sie nicht an von seinem Platz auf dem Sofa aus. Das Zimmer wurde nur von einer einzigen Lampe erleuchtet, so dass tiefe Schatten sein Gesicht verbargen.
»Ich war neun«, fing er an, »und zwei Wochen lang konnten wir uns praktisch nicht rühren wegen der Hitze. Die Temperaturen waren auf vierzig Grad gestiegen, obwohl es erst der Anfang des Sommers war. Der Frühling war so trocken wie noch nie gewesen – nicht ein Tropfen Regen in zwei Monaten – und alles war wie ausgedörrt. Ich erinnere mich noch, wie meine Eltern mit mir über die Trockenheit sprachen und mir erzählten, dass die Farmer schon anfingen, sich Sorgen zu machen wegen der Ernte, weil der Sommer ja erst begonnen hatte. Es war so heiß, dass die Zeit langsamer zu vergehen schien. Ich habe den ganzen Tag gewartet, bis die Sonne unterging und man wieder atmen konnte, aber der Abend brachte kaum Erleichterung. Wir wohnten in einem alten Haus ohne Klimaanlage oder Isolierung und allein wenn ich im Bett lag, fing ich schon an zu schwitzen. Ich weiß noch, wie durchgeschwitzt die Betttücher waren. An Schlaf
Weitere Kostenlose Bücher