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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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trinken.
    «Und was treibt dich wirklich zu mir?», fragt Riedmüller schließlich. «Hat dich der Pokorny geschickt? Der hat immer schon gemeint, ich sollt mir fürs Atelier einen Nachtwächter leisten   …»
    «Nein   … Also nicht direkt   … Kennst du ihn gut, den Pokorny?»
    Riedmüller wiegt nachdenklich den Kopf hin und her. «Wer kennt ihn schon gut   … Lang jedenfalls, lang kenn ich ihn   … Hat er dir das nicht erzählt?»
    «Nein   …»
    «Typisch», schmunzelt Riedmüller. «Typisch. Also, nur um dich in die großen alten Mysterien einzuweihen: Der Pokorny und ich haben vor Ewigkeiten zusammen studiert, auf der Akademie am Schillerplatz.»
    «Der Pokorny hat   … Kunst studiert?»
    «Aber ja! Die Königsdisziplin, die Malerei, genau wie ich. Und wir waren so etwas wie die Enfants terribles dieser ehrwürdigen Institution. Krause Gedanken, verstehst du, Wallisch, wunderbar krause Gedanken   … Und Weiber, herrliche Weiber, und Alkohol   … Sag   … warum interessiert dich das eigentlich?»
    «Weil   …» Der Lemming zögert, überlegt. Am besten, beschließt er, ist es wahrscheinlich, die Wahrheit zu sagen, wenn auch eine verkürzte, entschlackte und maßvoll verzerrte Wahrheit. «Weil ich dem Pokorny   … helfen will», murmelt er leise, verschämt. «Es ist nämlich etwas geschehen, draußen in Schönbrunn. Ein böser Zwischenfall. Und jetzt wird der Pokorny verdächtigt, schuld daran zu sein, aber er kann sich nicht wehren, weil er   …»
    «Weil er?»
    «Weil er verschwunden ist.»
    Kurz und heftig heben sich nun die Brauen des Malers, um gleich darauf nach unten zu sacken, tief und immer tiefer, bis seine Augen fast völlig verborgen sind. «Verschwunden?», stößt er ungläubig hervor. «Der Pokorny? Verschwunden?»
    «Ich fürchte, ja.»
    Riedmüller steht auf. Wandert, das Kinn in seine rechte Hand gestützt, im Zimmer auf und ab. Bleibt endlich stehen und meint, zum Lemming gewandt: «Unmöglich. Völlig unmöglich. Der Pokorny ist einer der zuverlässigsten Menschen, die mir je untergekommen sind   …»
    «Und?»
    «Nichts und. Ich hab morgen Abend Vernissage, Wallisch, wichtige, große Veranstaltung. Und unser Freund Pokorny wird aufspielen, wird den musikalischen Rahmen liefern. Mit seiner Band. Er hat’s mir schon lange versprochen, und er ist einer, der hält, was er verspricht. Wenn ihm wirklichwas dazwischenkommen würde, dann tät er mich anrufen. Hundertprozentig.»
    «Er ist aber trotzdem   …», wagt der Lemming einzuwerfen.
    «Gut.» Mit energischem Schritt kehrt Riedmüller zu seinem Sessel zurück, wuchtet die Flasche auf seinen Schoß und füllt die Gläser. «Gut. Meinetwegen. Dann sag, was ich tun kann. Was willst du wissen?»

9
    «Der Pokorny hat sich schon immer für alles Mögliche interessiert. An erster Stelle natürlich für die Bildnerei und die Musik: die ursprünglichen Künste eben, die der Menschheit in die Wiege gelegt sind, die wir noch lange vor der Sprache gelernt haben, lange vor dem Lügen, dem Schwindeln, der Schauspielerei und dem Schreiben   … Archaische Dinge, wenn du so willst. Also auch spirituelle: Urglaube, Mystik und Mythologie. Er hat ständig darunter gelitten, in eine derart entzauberte Welt geboren worden zu sein, in eine Welt, deren Wunder ausnahmslos zur Ware verkommen, die stofflichen genauso wie die geistigen und emotionalen   … In gewisser Weise leiden wahrscheinlich alle darunter. Jedenfalls alle, mit denen ich per du bin   …
    Krause Gedanken also, wie gesagt. Beim Pokorny noch mehr als bei mir. Er war schon ein bisserl ein Verrückter, irgendwie. Ich weiß nicht, ob er wirklich daran geglaubt hat, aber er hat es zumindest versucht.
Wer sonst, wenn nicht wir?
, hat er immer gesagt.
Wer soll dem ganzen trivialen Dreck denn sonst entgegenwirken? Freiheit der Kunst? Dass ich nicht lache! Eine Hure ist sie, die Kunst, auf den Strich geschickt von ein paar geschniegelten Zuhältern, von spießigen, Prosecco schlürfenden Rechenmaschinen. Die stolzieren dann in ihren Armani-Anzügen herum und reden von der Urkraft der Ideen und Gefühle, und wenn sie keine zahlungskräftigen Freier finden, dann stoßen
sie ihre vergötterte Kunst mir nichts, dir nichts zurück in die Gosse. Waschen ihre manikürten Hände in Unschuld und werden Anlageberater   … Auf diese Art von Freiheit kann ich scheißen; Freiheit ist etwas anderes, nichts, was man bekommt, sondern etwas, das man sich nehmen muss   …
    Wenn du jetzt

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