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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Händen.
    «Vorbei», nimmt der Lemming den Faden wieder auf, «eure wilde Zeit   … Warum war sie vorbei?»
    Riedmüller zuckt mit den Schultern. «Na, weil auch ein Studium früher oder später zu Ende geht, so oder so   … Bei mir auf die konventionelle, althergebrachte Art: Ich hab Ende der Achtziger diplomiert, hab mich danach im Atelier vergraben, gearbeitet und später dann selbst unterrichtet, als Assistent auf der Akademie. Vor zwei Jahren meinen Buben gezeugt, geheiratet   … Weißt du, Wallisch, ich glaub, ich bin regelrechtbürgerlich geworden mit der Zeit. Gar nicht gut, das alles, gar nicht gut, im Grund sogar ziemlich bedenklich   … Das einzig Rebellische, was ich noch manchmal tu, ist, dass ich auf meine Bilder   …»
    Riedmüller verstummt und starrt versonnen auf den Boden.
    «Dass du was auf deine Bilder?»
    Als er den Kopf wieder hebt, umspielt ein kleines, zweideutiges Grinsen die Lippen des Malers. «Egal», meint er, «egal. Ein ganz geheimer Schöpfungsakt. Hat nichts mit unserem Freund zu tun   …
    Beim Pokorny sind sie jedenfalls anders zu Ende gegangen, die Zeiten. Er ist und ist nicht fertig geworden mit dem Studium. Ich glaub, er hat sich ganz bewusst dagegen gesträubt, erwachsen zu werden.
Ich bin schon erwachsen
, hat er immer gesagt.
Die Infantilen sind die da draußen
… Wir haben uns dann mehr und mehr aus den Augen verloren, haben uns nur noch selten getroffen. Und dann, vor neun Jahren, ist etwas passiert   … Der Name Arnulf Rainer sagt dir was?»
    «Aber ja   … Der mit den Übermalungen   …»
    «Eine Ikone der österreichischen Bildnerei, auch international in jeder Hinsicht unumstritten. Überhaupt, was den Preis seiner Werke betrifft. Du sagst es, Wallisch, berühmt ist er mit seinen Übermalungen geworden. Aggressiv, radikal und trotzdem sehr, sehr christlich. Fotos hat er übermalt und Bibeln, Totenmasken, sogar Mumien. Vor allem aber Bilder, eigene und solche von anderen Künstlern. Jedenfalls war der Rainer damals Professor an der Akademie; er hat auch ein eigenes Atelier dort gehabt. Und jetzt pass auf: Im Jahr 1994 bricht jemand in seine Räume ein und übermalt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nicht weniger als siebenundzwanzig seiner Gemälde. Mutwillig, böse, verheerend: ein Akt der Zerstörung, obwohl man natürlich auch sagen kann, dass der Rainer selbst nichts anderes gemacht hat. Der Schaden war enorm, kannst dir vorstellen, und die Versicherungssummeentsprechend gewaltig   … Trotzdem ist der Anschlag nie aufgeklärt worden, bis heute nicht. Es hat eine Zeit lang allerhand schlimmes Gerede gegeben, dass die Bilder in Wahrheit Kopien gewesen sind, Repliken von Originalen, die der Rainer kurz davor in Amerika verkauft hat, schwarz natürlich, steuerfrei, also nicht nachvollziehbar. Und dass er diese Kopien selbst übermalt hat, um von der Versicherung gleich noch einmal abzukassieren. Der übliche Klatsch und Tratsch eben: Beweisen hat man ohnehin nichts können   … Ganz im Gegenteil: Die Sache ist schließlich an einem anderen hängen geblieben   …»
    «Du meinst   … am Pokorny?»
    «Am Pokorny. Ja. Zumindest gerüchteweise. Er war sowieso das schwarze Schaf der Akademie; sein ganzer Aktionismus war in den Neunzigern schon lang nicht mehr gefragt. Der Rainer-Skandal war also ein ziemlich willkommener Anlass, ihn endgültig fertig zu machen. Gemunkel, Wallisch, Gemunkel: Weißt du, was Scheißhausparolen alles anrichten können? Man hat ihn allerorts mit schweigender Verachtung gestraft, sogar seine letzten Freunde haben sich von ihm abgewendet   … Man hat ihn nicht einmal hinauswerfen müssen, man hat ihn nur so lange kujoniert, bis er am End von selbst gegangen ist   …»
    «Und? Hat er?»
    «Hat er was?»
    «Na, die Bilder übermalt   …»
    Riedmüller wiegt grübelnd den Kopf hin und her. Nimmt einen kräftigen Schluck und runzelt einmal mehr die Stirn. «Nein», sagt er schließlich. «Nein, ich glaub nicht, dass er’s war. Subversiv? Ja, das ist er immer gewesen. Aber eben auch moralisch. Das war ja sein Problem   …
    Ich hab dann nichts mehr gehört von ihm. Bis vor zirka zwei Jahren, da haben wir uns zufällig wiedergetroffen. Jetzt rat einmal, wo. Genau, in Schönbrunn. Im Tiergarten. Ich warmit meinen Schülern dort, Studien anstellen, Tiere zeichnen, ganz klassisch. Und auf einmal steht er neben mir, der Pokorny. Schaut den Studenten über die Schulter und mischt sich – ohne Begrüßung – in meine Arbeit

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