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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Saliera, das geliebte Salzfass der Nation!» Jetzt scheint Riedmüller erst richtig in Fahrt zu kommen. «Das ist ja auch so ein Wahnsinn! Kein Hahn hat danach gekräht, bis es gestohlen worden ist. Sonst hätten sie wohl ein bisserl besser drauf Acht gegeben. Aber dann – auf einmal – bricht die große Hysterie aus: Chefsache, Staatsaktion, überall Heulen und Zähneknirschen. Und um den Skandal noch perfekt zu machen, wird brühwarm herumerzählt, dass sich die Diebe gemeldet haben!»
    «Wie   … gemeldet?»
    «Du liest wirklich keine Zeitungen, oder? Am vorigen Donnerstag ist ein Erpresserbrief im Briefkasten der Versicherung gelandet:
Wir haben die Saliera und sind bereit, sie für fünf Millionen Euro zurückzugeben
.
Bedingung für den Austausch: Absolute Geheimhaltung bis zum Zeitpunkt der Übergabe.
Und so weiter und so fort. An sich gar nicht blöd: Als Beweis haben die Halunken dem Brief ein paar Emailbrösel beigelegt, die sie von der Skulptur gekratzt haben. Die eine oder andere chemische Untersuchung also, und schon war klar, dass sie die Wahrheit sagen. Jetzt sind fünf Millionennatürlich kein Pappenstiel, aber immer noch eine Mezzie für die Versicherung, wenn man bedenkt, dass der Staubfänger für fünfundzwanzig Millionen assekuriert war   … Nicht, dass du mich missverstehst, Wallisch, aber ich hab mit dem Cellini nie recht viel anfangen können. Besonders die Saliera   … ein unerträglich manieriertes Skulpturl, meiner Meinung nach. Aber egal. Fünf Millionen also, bei einem geschätzten Materialwert von, sagen wir, ein paar tausend Euro. Ist ja nur ein dünnes Goldblech, mit dem das Ding überzogen ist, wenn du das einschmilzt, kannst du dir nicht einmal einen Riedmüller dafür kaufen   … Und jetzt kommt’s: Kein Tag ist vergangen, und die ganze Geschichte ist groß in der Presse gestanden. Im
Abendboten
, um genau zu sein. Wer da nicht dichtgehalten hat, das weiß man natürlich nicht. Jedenfalls exzellente Geheimhaltung, tolle Aktion. Und jetzt herrscht Funkstille, kein Wunder, weil ohne gegenseitiges Vertrauen lässt sich eine ordentliche Erpressung natürlich nicht durchziehen   …»
    Skandal! Nun schweigen die Erpresser
… Darauf also hat sich die gestrige Schlagzeile der
Reinen
bezogen, fährt es dem Lemming in den Sinn. Dagegen hätte ein toter Pinguin ohnehin keine Chance gehabt   …
    «Warum ich dir das alles erzähl? Weil der eigentliche Skandal darin besteht, dass es hier längst nicht mehr um ein Gemälde geht oder um eine Skulptur. Ob es nun die sauberen Manager von der Versicherung sind, die Galeristen und Auktionatoren, die Gutachter, die Politiker, die Presseleute oder die Diebe; im einen, entscheidenden Punkt sind sie alle gleich: Das Wichtigste, der Geist eines Kunstwerks nämlich, geht ihnen völlig am Arsch vorbei. Für sie reduziert sich die Bedeutung der Kunst einzig und allein auf die Summe, um die sie gehandelt wird   …
    Aber bitte, wie auch immer, ich will dich nicht langweilen. Du möchtest ja schließlich was über den Pokorny wissen. Wie gesagt, er war damals noch überzeugt davon, dass mandem wachsenden Stumpfsinn entgegentreten muss. Nicht mit politischen Reden und Traktaten, sondern mit Schalk und Phantasie. Seine subversiven Streiche und Störaktionen waren legendär auf der Akademie. Ich selbst war in der Regel auch daran beteiligt, ja, aber die Ideen sind fast immer vom Pokorny gekommen. Wenn eine Wagenladung bunt bemalter Schweine durch die Gänge galoppiert ist: Pokorny. Wenn bei der jährlichen Diplomverleihung plötzlich die Tonanlage ausgefallen ist, um kurz darauf die kubanische Hymne aus den Boxen zu schmettern: Pokorny. Wenn sich zweihundert japanische Touristen vor dem Sekretariat gedrängt haben, um den Rektor zu fotografieren: Pokorny. Wir haben sie vor der Oper eingesammelt und ihnen erzählt, dass wir sie zu einem der Nachfahren Mozarts bringen   …
    Zugegeben, das ist nicht immer einem, wie soll ich sagen   … politischen Konzept gefolgt, aber es hat Spaß gemacht   … Es war eine herrliche, freche und meistens auch wilde Zeit. Und dann   … war sie vorbei.»
    Riedmüller erhebt sich ohne ein weiteres Wort und stapft aus dem Zimmer. Auch der Lemming steht nun auf, um sich die Beine zu vertreten. Schält sich – bereits ein wenig schwankend – aus seiner Jacke und hängt sie über die Sessellehne. Aus dem Vorraum dringt das Rauschen der Klospülung, und gleich darauf kehrt der Maler zurück, eine weitere Flasche in

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