Das Schweigen des Lemming
wissen, mein lieber Herr Wallisch?»
«Die andere Bedingung, die der Hörtnagl Ihnen gestellt hat: Wie hat die gelautet?»
«Ja … Das war ein wenig eigenartig. Wie gesagt, es ist ihm offenbar um sein Ansehen gegangen. Und um den Ruf seines Firmenimperiums natürlich. Aber er hat das nicht so ausgedrückt, nicht ganz jedenfalls … Stattdessen hat er so etwas gesagt wie:
Der gute Name meiner Familie steht auf dem Spiel
… Wissen Sie, Herr Wallisch, in meiner Position entwickelt man einen Spürsinn für solche Feinheiten. Der Feind ist überall, da muss man die Ohren spitzen können. Aber bitte, was erzähl ich schon einem Profi wie Ihnen … Also die zweite Bedingung vom Hörtnagl war folgende, und er hat das – wohlgemerkt – wortwörtlich so formuliert:
Wie auch immer Sie die Sache anpacken, Herr Plessel
, hat er gesagt,
wen auch immer Sie zu diesem Pokorny schicken: Lassen Sie unter allen Umständen meine Familie unerwähnt
…»
«Seine Familie …», murmelt der Lemming.
«Ja, ganz recht. Ich hab natürlich nachgehakt, warum und wieso. Aber es war nichts weiter aus ihm herauszubekommen. Auch gut, hab ich gedacht, wenn der Hörtnagl einen Freund braucht, soll er ihn haben … Solang er dafür bezahlt. Und bei Freunden muss man nicht gleich alles wissen, die kriegt man früher oder später sowieso an den … Ich meine, die lernt man mit der Zeit sowieso kennen …»
Breites Grinsen. Die Narbe auf Plessels Wange spannt sich bis zum Äußersten. «Also, Herr Wallisch», er tritt einen Schritt näher an den Lemming heran und legt ihm die Hand auf die Schulter, «also: Was halten Sie jetzt von meinem Vorschlag? Gemeinsame Sache, Seite an Seite? Zuerst finden Sie den Pokorny, dann nehm ich mir den Hörtnagl vor, und spätestensin ein paar Jahren, glauben Sie mir, spätestens nach den nächsten Wahlen sind Sie ein gemachter Mann …»
Mit sanftem Griff entfernt der Lemming Plessels Hand von seiner Schulter. Zieht dann sein magisches Ei aus der Tasche, betrachtet es nachdenklich.
«Wissen Sie», sagt er leise, «wenn ich mir absolut sicher sein könnte, dass Sie mein Angebot ablehnen, dann tät ich Ihnen jetzt von Herzen gern das Arschlecken antragen …»
Schön ist die frühe Abendstimmung an den Gestaden des Donaukanals. Das warme, rötliche Licht der letzten Sonnenstrahlen, die lang gezogenen Pfiffe der Schwalben, die hoch oben ihre Bahnen ziehen. Das Glitzern des Flusses, der ruhig und gemächlich nach Osten hin fließt.
Der Lemming geht Richtung Westen, geht gegen den Strom auf die sinkende Sonne zu.
«Ich mach Sie fertig! Irgendwann mach ich Sie fertig!»
Lange dauert es, bis das wütende Brüllen im Rücken des Lemming leiser wird. Irgendwann aber kann er es nur noch als fernes Gezeter vernehmen, als kaum noch vernehmbares heiseres Schnarren, das an den kratzigen Klang alter Radios gemahnt. Und so kommt der Lemming zu dem Schluss, dass ein Vergaser eben meistens auch ein Volksempfänger ist.
15
«Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass die Sache mit dem Schiele kein Einzelfall war. So wie damals der Bär haben ja auch die anderen ihre Ideen gehabt, wie man ein bisschen Leben, ein bisschen Unordnung in den ganzen komatösen Kunstbetrieb bringen kann, dem von engherzigen und breitärschigen Agioteuren systematisch die Luft abgeschnürt wird – und nicht nur dem Kunstbetrieb, nebenbei …
Wie auch immer, die zweite Geschichte hat ihren eigenen Reiz. Ich tät sie fast sophistisch nennen. Es war die Aktion vom Adler, der schon immer eine ganz besonders feine Klinge geführt hat. Er muss lange daran getüftelt haben, und das wirklich Erschreckende ist, dass er mit seiner Idee etwas vorweggenommen hat, ein Stück Zukunft nämlich, eine Ekel erregende Zukunft, die im Grunde nur die zwingende Fortsetzung der Ekel erregenden Gegenwart ist.
Du musst einmal etwas ausprobieren: Schreib dir eine beliebige Anzahl von Begriffen auf, die einen positiven Beiklang haben, also zum Beispiel: Schönheit, Frische, Kraft, Erfolg, Sicherheit, Leidenschaft, Tradition und so weiter. Dann nimm zwei davon, ganz egal, welche, und verbinde sie mit einem Genitiv. Bingo! Schon hast du die Art von Literatur geschaffen, mit der du nicht nur die Welt verändern, sondern auch noch stinkreich werden kannst. Die Art von Kultur, die allen Dingen ihren Stempel aufdrückt, weil sie den Menschen zeit ihres Lebens ins Hirn gehämmert wird: Die Kraft der Frische! Die Frische der Schönheit! Die
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