Das Schweigen des Lemming
«Lassen Sie uns die Sache zu Ende bringen, und zwar rasch, sonst kann ich nicht mehr für mich garantieren … Für mich nicht und auch nicht für meine … meine Männer …»
«Das ist ganz in meinem Sinn. Also: Was wollte der Hörtnagl von Ihnen?»
«Dass ich ihm den Pokorny bringe. Wenn Sie jetzt wissen wollen, warum, dann kann ich Ihnen das auch nicht sagen. Es war etwas die Rede von … von Erpressung oder so. Von problematischen Verwicklungen auf höchster Ebene. Dass der Pokorny den guten Namen vom Hörtnagl in den Schmutz ziehen will, obwohl er selbst der größte Ganeff ist. Das WortStaatsfeind ist gefallen … Ich hab natürlich nicht einmal die Hälfte geglaubt, aber andererseits … Man muss sich ja seiner Verantwortung als Politiker stellen, die Sümpfe trockenlegen, das Ungeziefer …»
«Vertilgen, Herr Plessel, ich weiß … Sie haben also eingewilligt?»
«Selbstverständlich.»
«Darf ich fragen, warum Sie nicht Ihre … Männer auf die Sache angesetzt haben?»
«Weil der Hörtnagl zwei Bedingungen an meine Mitarbeit geknüpft hat. Erstens, dass ich nicht meine Burschen nehme. Er hat gesagt, er braucht den Pokorny lebend. Falls dem etwas zustößt, können wir die ganze Angelegenheit vergessen, hat er gemeint. Da müssen Profis her, Leute, die saubere Arbeit verrichten, Leute, die das fürs Geld machen, nicht fürs Vergnügen … Also hab ich ein paar alte Kontakte spielen lassen, aus der Zeit, wo ich noch … im Kontrollwesen war …»
«Die zwei verkommenen Zuhälter?»
«Ja. Verkommen, aber mit allen Wassern gewaschen. Leider trotzdem die falsche Wahl, aber nachher ist man ja immer klüger. Sie haben’s verpfuscht, die beiden; der Pokorny ist ihnen ausgebüxt.»
«Und dann?»
«Der Hörtnagl war vollkommen fertig, wie ich ihm das erzählt hab. Minutenlang hat er vor sich hin geflucht und irgendwann grußlos aufgelegt. Da ist mir erst richtig bewusst geworden, dass an der Geschichte doch etwas dran sein muss. Am Sonntag hab ich ihn noch einmal angerufen, aber er hat nur gemeint, ich soll mir die Sache aus dem Kopf schlagen, er hat schon jemand anderen engagiert, einen, der die Suppe jetzt auslöffeln muss, die ich ihm eingebrockt habe. Gleich morgen um halb zehn geht’s los, hat er gesagt, da kommt ein richtiger Profi zu mir, da werden Sie sehen, wie man solche Dinge erledigt …»
Otto Plessel reckt das Kinn vor, reißt den Arm hoch und sticht mit dem Zeigefinger in die Luft: eine Geste, die wie eine Westentaschenvariante, wie eine spartanisch-provinzielle Spielart des Führergrußes wirkt.
«Aber nicht mit mir!», ruft er aus. «Nicht mit Otto Plessel! So leicht lässt sich ein Mann wie ich nicht abservieren. Ich habe natürlich sofort gehandelt, habe meine beiden Söldner vor dem Haus vom Hörtnagl postiert, damit sie sich dem Kerl an die Fersen heften … Bis jetzt dürfte dieser so genannte Profi aber genauso im Trüben fischen …»
Plessel stockt abermals. Langsam wandert sein Blick am Körper des Lemming hoch, ein Blick, in dem sich Arroganz mit jäher Einsicht paart. Etwas geht vor im Vergaser.
«Sagen Sie … Sagen Sie bloß … dass
Sie
das sind …»
Das Schweigen des Lemming ist Antwort genug. Und so glimmt auf einmal Hoffnung in Otto Plessels Augen auf.
«Aber dann … Dann ziehen wir ja am selben Strang! Dann könnten wir doch …», er breitet weltmännisch die Arme aus, «dann ließe sich doch etwas arrangieren! Männer wie Sie kann ich immer brauchen, mutige und einfallsreiche Männer, die bereit sind, ihre Kraft für unser Land, für unser Volk … Glauben Sie mir, Herr Wallisch, es wäre nicht zu Ihrem Schaden! So viel kann Ihnen der Hörtnagl gar nicht zahlen! Stellen Sie sich vor, wenn wir gemeinsam …»
Der Lemming hat sich noch nie zu den Freunden der Zwietracht gezählt, im Gegenteil: Zu innerer Ruhe, festem Schlaf und gutem Appetit hat er immer nur in Einigkeit und Harmonie gefunden. Trotzdem ist ihm die plötzliche Anbiederung Otto Plessels zehnmal unerträglicher als jede offene Feindschaft.
«Momenterl …», wehrt er angeekelt ab, bevor ihn Plessel in seine autoheroischen Zukunftsvisionen mit einbezieht, «Momenterl … Das geht mir jetzt alles ein bisschen zu schnell … Ich war noch nicht fertig …»
«Das lob ich mir! Nur weiter so, das ist der rechte Geist! Nicht ablenken lassen, nur immer voran, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Also gut: Was wollen Sie noch
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