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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Sie auf: Dieser   … dieser Pokorny ist mir völlig egal. Ein kleiner, dreckiger Bolschewik, soviel ich gehört habe. Ein Versager und Nichtsnutz, einer von diesen Gutmenschen   … Nein, ich will nichts von dem, der interessiert mich nicht, solange er mir nicht ans Bein pinkelt   …»
    Dieses Tor hat sich Plessel selbst geschossen. Während er es nicht einmal bemerkt, senkt der Lemming den Kopf und ballt die Fäuste, presst sich, so fest er nur kann, die Nägel ins Fleisch, um nicht in Gelächter auszubrechen.
    «Nein   … Ein anderer ist an mich herangetreten. Besagte Person, Sie wissen schon   … Er hat mich angerufen und mir ein Geschäft vorgeschlagen   …»
    «Nur damit wir uns richtig verstehen», unterbricht der Lemming, der sich inzwischen gefangen hat. «Sprechen wir auch ganz sicher vom selben Mann?»
    «Das nehme ich doch an. Bis auf diese beiden Strizzis ist sonst keiner in die Sache eingeweiht. Und die stehen schließlich – noch – auf meiner Lohnliste   … Er hat mir also ein Angebot gemacht, der miese Geldsack, der Hörtnagl   …»
    Endlich ist es heraußen.
    Und wieder führt die Spur zu ihm: zum Puppenspieler, Draht- und Fadenzieher, zum dubiosen Gönner der Tier- und der Kunstwelt, zum Auftraggeber des Lemming.
    «Wann war das genau? Wann hat er Sie angerufen?»
    «Am   … Warten Sie   … Am Samstagvormittag war das. Siemüssen wissen, dass der Hörtnagl bei mir im Bezirk ein paar Macheloikes am Laufen hat, ein paar ganz miese Machenschaften. Umwidmungen von öffentlichen Grünflächen, halbseidene Baugenehmigungen, Umgehung des Denkmalschutzes und so weiter. Ich bin an dem Skandal schon wochenlang dran, das zieht sich natürlich in die höchsten politischen Kreise: Die Bonzenbrut da oben reibt sich wie immer die Hände, während der brave, fleißige Bürger nicht nur belogen und betrogen, sondern auch noch mit Heerscharen von Drogennegern und Kameltreibern überschwemmt wird   … Und wir, die aufrechten, kleinen Parteien, fallen wieder einmal durch den Rost   … Der Hörtnagl weiß, dass er auf meiner Abschussliste steht; umso mehr hat mich sein Anruf verwundert. Zuerst hat er noch um den heißen Brei herumgeredet, hat versucht, mir Honig ums Maul zu schmieren wie ein mosaischer Teppichhändler. Dass wir ja leider einen schlechten Start miteinander hatten und dass es ihn freuen würde, mich einmal persönlich und so weiter   … Aber dann ist er sehr rasch zum Punkt gekommen   … Er hat gesagt, er braucht meine Hilfe. Und zwar in einer sehr heiklen Angelegenheit, in der er niemand anderem trauen kann   …»
    Plessel bleibt abermals stehen. Starrt vor sich hin, gedankenverloren.
    «Gut, sag ich, gut, Herr Direktor, dann lassen Sie einmal hören, was Sie auf dem Herzen haben. Worum es geht. Und was für mich dabei herausspringt   … Und darauf antwortet der Hörtnagl ganz ruhig, dass er Informationen für mich hat. Dass er etwas weiß, das pures Gold für mich wert ist. Etwas, das mich mit einem Schlag in die oberste Liga bringt. Er hat gesagt, er macht mich zum Volkshelden, wenn ich das will   …»
    Plessel vergräbt die Hände in den Jackentaschen und versinkt in versonnenes Schweigen.
    «Und? Wollten Sie?», fragt der Lemming nach einer Weile.
    Doch es ist nicht so einfach, diesen Mann aus seinen völkischen Heldenträumen zu reißen. Erst nach zwei weiteren Versuchen, ihn in die Gegenwart zurückzuholen, hebt er den Kopf und sieht dem Lemming verwirrt ins Gesicht.
    «Was   … Blöde Frage! Was braucht das Volk denn sonst als einen neuen   … eine neue Leitfigur? Einen, der endlich Ordnung macht, der endgültig aufräumt mit dem ganzen Geschmeiß, mit dem ganzen entarteten Dreck   …»
    Der Lemming fühlt mit einem Mal eine große Übelkeit in sich aufsteigen. Es bereitet ihm Mühe, sie zu unterdrücken, Mühe, sich nicht hier und jetzt in die Fratze des Vergasers zu erbrechen. An anderer Stelle, zu anderer Zeit, so nimmt er sich vor, wird er das ausgiebig nachholen. Spätestens dann, wenn er wieder an einem von Plessels Plakaten vorbeikommt.
    «Ja, natürlich. Sie haben vollkommen Recht. Als Erstes sollte man alle Bordelle und Stundenhotels verbieten. Schon zum Schutz unserer arischen Jugend   … Sagen Sie, wie alt sind Ihre beiden Buberln da hinten eigentlich?»
    Ein kurzes Blitzen in Plessels Augen, dann ein rascher rot-weiß-roter Wechsel seines Teints.
    «Sie   … Sie   … Leute wie Sie sollte man   …» Er verbeißt sich den Rest des Satzes.

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