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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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folgte eine Preisaufstellung, die sich ziemlich genau an den Schätzwerten der Bilder orientiert hat. Rembrandts
Bildnis einer jungen Frau
zum Beispiel ist auf fünfunddreißig Millionen Euro versichert. Bei einer Größe von neunzig mal siebzig Zentimetern beträgt der Preis pro Quadratzentimeter fünftausendfünfhundert Euro. Der Autoschlüssel mit dem allseits bekannten Motiv auf dem Anhänger, den die junge Frau auf den Skizzen der vier in der Hand gehalten hat, war zirka zehn Quadratzentimeter groß, also wurde er der betreffenden Autofirma für fünfundfünfzigtausend Euro angeboten.
    Es waren insgesamt zwölf Briefe, die die Löwin ein paar Tage später zur Post getragen hat, und sie haben alle gleich geendet:
     
    In Anbetracht der Brisanz unseres Vorhabens bitten wir Sie, diese Offerte mit der gebotenen Vertraulichkeit zu behandeln – so behalten wir uns vor, die Presse und das Fernsehen zu gegebener Zeit selbst darüber zu informieren. Sollten Sie an einer Werbeeinschaltung in der Gemäldegalerie interessiert sein, müssen wir Sie auch darum ersuchen, vorerst keinen Kontakt mit uns
aufzunehmen. Unsere Mitarbeiter werden sich im Laufe der kommenden Woche bei Ihnen melden, um – falls gewünscht – weitere Schritte mit Ihnen zu besprechen.
     
    Mit freundlichen Grüßen
    i. V.   Josef Meier, Sekretariat
     
    Eigentlich eine Schnapsidee, wirst du jetzt denken. Und die vier haben sich nichts anderes gedacht. Dass ihnen die Geschichte nämlich keiner abkaufen wird. Dass es, wenn überhaupt, einen Aufschrei der Entrüstung bei den Managern und Marketingleitern der angeschriebenen Firmen geben wird und dass sie die ganze Sache sofort an die Presse weitergeben werden: Jahrhundertskandal in der Akademie, Schändung der Kunst und so weiter. Darauf hat ja der Plan im Grunde auch abgezielt: eine öffentliche Welle der Empörung, verstörte Dementis der Akademiedirektion, allgemeine Verwirrung und wochenlange Diskussionen über die Grenzen des guten Geschmacks und des freien Marktes   …
    Aber nichts. Kein Mucks in den Medien. Totale Funkstille. Und als die vier dann begonnen haben, bei ihren potenziellen Kunden anzurufen, haben sie’s am Anfang gar nicht glauben können: Keiner, kein einziger hat das Angebot abgelehnt. Im Gegenteil, überall hat man schon ganz nervös auf den Anruf gewartet, überall hat man sich überschlagen vor Lob für diese geniale Werbekampagne. Man hat zum Teil sogar noch weitaus höhere Summen geboten, hat versucht, die Konkurrenz auszustechen und sich eine Art altmeisterliches Branchenmonopol zu sichern.
    Es war schon beängstigend; die Sache ist in einer Weise aus dem Ruder gelaufen, mit der die vier nicht gerechnet hatten. Und so haben sie innerhalb weniger Tage einen Notfallplan geschmiedet: Sie sind sozusagen mit dem Kopf durch die Leinwand   …
    Zwei Wochen später hat eine seltsame Gruppe die Akademie betreten: Neun Männer und drei Frauen im Business-Outfit, mit Kaschmirmänteln und ledernen Aktentaschen sind am erstaunten Portier vorbeigestrebt und in den ersten Stock hinaufgestiegen. Vor dem Eingang zur Gemäldesammlung haben schon der Adler und die Löwin gewartet, ähnlich fein herausgeputzt wie ihre zwölf Besucher.
    ‹Der Herr Direktor ist untröstlich, er lässt sich tausendmal entschuldigen›, hat der Adler die Gäste begrüßt
.
    ‹Ein wichtiger Termin beim Herrn Staatssekretär›, hat die Löwin gemeint, ‹leider nicht zu verschieben   …›
    ‹Aber in spätestens einer halben Stunde›, hat der Adler mit einem Blick auf seine Armbanduhr gesagt, ‹wird er wieder im Haus sein. Dann bringen wir Sie gleich in die Direktion. Zur Vertragsunterzeichnung   …›
    ‹Und zu einer kleinen Stärkung natürlich›, hat die Löwin augenzwinkernd hinzugefügt.
    Die Eintrittskarten in die Galerie haben die beiden schon vorher gekauft, so konnten sie die Delegation ganz hausherrenmäßig an der Kassa vorbei in die Ausstellungsräume lotsen. Und dort hat schon das Kamerateam gewartet.
    Das mit dem Fernsehen hat der Floh eingefädelt, ganz professionell. Hat bei der Kulturredaktion angerufen und erzählt, dass sich ein Konsortium sehr bekannter Geschäftsleute dazu entschlossen hat, der Akademie eine außergewöhnlich großzügige Spende zukommen zu lassen, um – ganz generell – das Ansehen der Wirtschaft zu verbessern. Hat etwas von den alten Werten kultureller Verantwortung gefaselt, von großherzigem Mäzenatentum und davon, dass sich die edlen Spender am

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