Das Schweigen des Lemming
offenbar vorgezogen, der Feuersbrunst nicht allzu nahe zu sein, wenn sie denn ausbrach. Einen Brand zu legen ist eine Sache, sich die Finger daran zu verbrennen eine andere. Dass sie ihn aber in wenigen Stunden aufsuchen würden, um sich den Rest ihrer Prämie abzuholen, daran hat der Lemming keine Sekunde gezweifelt.
Beiderseits der Theke sind nur Wallas Mausi und der zweite Skinhead gesessen und haben einander angeschwiegen: sie gelangweilt, er verlegen. Auf einen kurzen Wink von Plessel hin ist er aufgesprungen, um sich der Gruppe anzuschließen.
«Sag, was habts ihr eigentlich g’macht da drin?», hat er Karl, seinem Kameraden, zugeraunt, während die Männer auf die Straße traten.
«Gar nix. Den Weibern haben wir’s halt besorgt …»
Und Karl, der kahle, kantige Kerl, ist bis hinter beide Ohren errötet …
«Noch einmal, Herr Plessel, Sie haben nichts zu befürchten. Ihre … Passionen sind mir egal. Das Bild ist an einem sicheren Ort, keiner bekommt es zu sehen … Außer natürlich, wir kommen nicht ins Geschäft …»
Heiß ist es hier am Donaukanal, selbst jetzt noch, am späten Nachmittag. Die Sonne brütet kleine Perlen auf Otto Plessels Stirn aus, lässt sie zu großen Tropfen wachsen, die sich vereinen und – an den wütend aufgerissenen Augen vorbei – nach unten rinnen. Zwanzig Meter weiter hinten haben die zwei Kahlköpfe ihre Bomberjacken ausgezogen; im Gleichschritt marschieren sie nebeneinanderher.
«Also was jetzt! Was wollen Sie von mir wissen?»
Endlich. Der erste konstruktive Satz aus Otto Plessels Mund. Wenn er diesen Anflug von Pragmatik kultiviert, denkt der Lemming, könnte noch ein richtiger Staatsmann aus ihm werden.
«Ich wüsste gern, was Sie vom Josef Pokorny wollen.»
«Ich kenne keinen Josef Pokorny.»
«Das glaube ich Ihnen sogar. Aber das war nicht meine Frage. Warum sind Sie hinter ihm her?»
«Das geht Sie überhaupt nichts an …»
«Schauen Sie, Herr Plessel», seufzt der Lemming, «schauen Sie. Ich habe eigentlich gehofft, wir hätten uns verstanden. Ich möcht ja nicht schon wieder damit anfangen, aber … Die
Reine Wahrheit
ist immer auf der Suche nach … na ja, nach interessantem Bildmaterial …»
Otto Plessel schwankt. Äußerlich und innerlich. Er wischtsich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und bleibt stehen.
«Ich mach Sie fertig», sagt er mit zitternder Stimme. «Ich mach Sie fertig, wenn das nicht unter uns bleibt, was ich Ihnen jetzt erzähle … Ich mach Sie sowieso fertig … Irgendwann …»
Er nickt, wie um sich selbst zu bestätigen. Geht schließlich weiter, stakst mit erschöpften, zittrigen Schritten neben dem Lemming her wie ein gerade erst gezähmter Gaul.
«Die Politik ist ein hartes Geschäft …», beginnt er jetzt stockend, «hart und verantwortungsvoll, besonders in Zeiten wie diesen … Da schenkt einem keiner was, da muss man immer am Ball bleiben, flink sein und zäh. Die Augen aufsperren und die Ohren, jede Möglichkeit nützen. Und Verbindungen pflegen … Man braucht seine Leute, seine Vorhut, seine Informanten, Gönner und Vermittler; man braucht sie überall, unten und oben: das Ungeziefer von der Straße genauso wie den Sesselkleber aus dem Ministerium, den Schmierfinken von der Presse genauso wie den Rechtsverdreher hinter dem Richtertisch. Und vor allem braucht man natürlich den Wirtschaftsmann …»
Natürlich, denkt der Lemming, die gute alte Wirtschaft. Sie ist stets zugleich Chauffeur und Passagier des politischen Karrens, sie sät das Geld und erntet die Gesetze: Solange man der Wirtschaft nützt, kann man ansonsten tun und lassen, was man will …
«Und bei all diesem Pack», schimpft Plessel weiter, «bei all diesem Pack muss man ständig die Spreu vom Weizen trennen: Wer ist ein echter Kamerad? Wer ein Mitläufer, wer ein Verräter?»
Wieder hält Otto Plessel an. Starrt vor sich hin. Wendet sich dann ruckartig dem Lemming zu.
«Wer hat Ihnen davon erzählt?»
«Wovon?»
«Von der Angelegenheit. Von … vom Pokorny … War es dieses Gesindel, dieser Abschaum? Diese zwei verkommenen Zuhälter?»
Der Lemming schweigt. Sieht Plessel in die Augen und schüttelt dann langsam den Kopf.
«Dann kann ich’s mir schon denken … Das Schwein hat also nicht dichtgehalten … Gut … Auch gut, dann weiß ich ja, woran ich bin …», meint Plessel mit grimmiger Miene, während die zwei ihren Marsch wieder aufnehmen.
«Also passen
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