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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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oben?»
    «Ich   … Ich weiß nicht   … Gesprungen ist er, der Bub   …»
    «G’sprungen? Ganz einfach g’sprungen?»
    «Ja, natürlich. Ich war ja   … Ich hab’s ja gesehen   …»
    «Net vielleicht, dass er ausg’rutscht is?»
    «Nein   … Nein, das war kein Unfall   …»
    «Oder dass da einer, sagen wir, ein kleines bisserl nachg’holfen hat?»
    Unweigerlich ist die Befragung zum Verhör mutiert, und sie hätte als solches wohl mehrere Stunden gedauert, wäre nicht plötzlich ein vierter Mann dazugekommen, um sich der kleinen Gesprächsrunde anzuschließen.
    «Verzeihen Sie, Herr Inspektor: Wenn ich mich da kurz einmischen darf   …»
    «Ja was denn? Was wollen S’ denn?»
    «Ich möcht mich als Zeuge zur Verfügung stellen. Der Herr da, der Herr   …»
    «Wallisch», hat der Lemming gemurmelt. «Leopold Wallisch.»
    «Also der Herr Wallisch war gar nicht in Reichweite, der war mindestens fünf Meter entfernt vom   … vom Toten, wie der das Gleichgewicht verloren hat   …»
    «Gleichgewicht?»
    «Ja sicher. Der hat sich nimmer halten können   …»
    «Und wieso, glauben S’, ist der Herr Wallisch dem Toten überhaupt nachgeklettert?»
    «Na, weil er ihn retten wollte, nehm ich an   …»
    «Und Ihr Name?»
    «Putzer. Bernhard.»
    «Gut   …», hat einer der Uniformierten gemeint und sein Notizbuch zugeklappt. «Sie zwei warten da; der Kollege und ich müssen noch weitere Aussagen einholen   …»
    Eine Zeit lang sind der Lemming und Putzer nur so dagestanden, schweigend und blass, und haben einander aus den Augenwinkeln gemustert. Aber dann hat Putzer doch das Wort ergriffen.
    «So eine Scheiße», hat er gebrummt. «So eine gottverfluchte Scheiße; der arme kleine Kerl   …»
    «Ja», hat der Lemming leise gesagt. «Ich kann nur nicht verstehen, warum   … Warum tut einer so was?»
    «Was soll das heißen:
tut einer so was
? Es war ein Unfall, ein verdammter Unfall   …»
    Der Lemming hat trotzig den Kopf geschüttelt. Aber bevor er noch etwas erwidern konnte, hat Putzer schon weitergeredet.
    «Der Florian war ein Freund von mir, verstehen Sie? Einer meiner besten   … Jedenfalls die längste Zeit   …»
    «Und dann?»
    «Nichts dann.» Putzer hat auf den Boden gestarrt. Nach einer Weile hat er den Blick gehoben und den Lemming argwöhnisch angesehen. «Was hat er zu Ihnen gesagt? Was hat er Ihnen erzählt da oben?»
    «Nichts. Nichts Besonderes, nichts über Sie jedenfalls   … Warten Sie, Momenterl   … Sie haben da was   …»
    Mit dem Ausdruck mütterlicher Fürsorglichkeit hat sich der Lemming vorgebeugt, um Bernhard Putzer etwas vom Revers zu wischen. Kleine, hellbraune Krümel: Erdnussreste, halb verdaut   …
     
    «Vorbei, Herr Wallisch. Alles vorbei. Auch Ihre Arbeit für mich   … Dass Sie jämmerlich versagt haben, tut jetzt nichts mehr zur Sache   …»
    Jochen Hörtnagls Worte holen den Lemming abrupt ins Hier und Jetzt zurück. Er räuspert sich, senkt dann den Kopf und nickt betreten. Kondolenzbesuche sind ihm schon damals, in seiner Zeit als Kriminalbeamter, ein Grauen gewesen: jedes Mal aufs Neue dieser linkische Eiertanz, diese unbeholfene Grätsche zwischen Beileid und Verhör. Es ist schon eine Kunst, im Paarlauf mit der Pietät nicht aus dem Takt zu kommen. Trotzdem ringt sich der Lemming zu einer Erwiderung durch.
    «Warum?», fragt er leise. «Warum das alles, Herr Kommerzialrat?»
    «Warum? Warum mein Sohn solche Blödheiten macht? Da müssen S’ mich was Leichteres fragen.» Jochen Hörtnagl steht auf und tritt an die verhängte Fensterfront. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, betrachtet er die Jalousie, als hielte sich zwischen den Kunststofflamellen die Antwort versteckt.
    «Mein werter Herr Sohn hat schon immer alles falsch gemacht. Vielleicht weil seine Frau Mama so früh von uns gegangen ist. Nach Florida, nebenbei, aber lassen wir das   … Immer wenn er sich hätt zurückhalten sollen, ist er vorgeprescht, der Bub. Aber wenn einmal Rückgrat gefragt war, dann hat er den Schwanz eingezogen. Im Gymnasium hat ihm dann irgendwer die Flausen mit der Kunst in den Kopf gesetzt. Dass er auf die Akademie gehen soll   … Wissen S’, Herr Wallisch, damals war ich am Ende mit meinem Latein. Ich hab auch meine Grenzen: die Arbeit, der Stress, die Verantwortung   …
Wenn du dir partout dein Leben ruinieren willst
, hab ich gesagt,
dann bitte. Nur zu. Das schau ich mir an, wie du später einmal deine Familie ernähren wirst,

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