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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Ich blieb draußen stehen und spähte durchs Fenster in Ofers Zimmer.
    »Oferke, entschuldige, dass ich dich störe«, begann meine Mutter höflich, »ich habe gehört, dass du weißt, wo Jakobs Grab ist.« Dann packte sie den Verkünder der Nachricht, deres diesmal nicht geschafft hatte, zu entkommen, am Arm. »Komm, wir gehen zum Friedhof. Ich werde sehr froh sein, wenn du mir zeigst, wo er begraben ist.«
    Frau Silberman tauchte im Zimmer auf.
    »Ofer geht mit mir zum Friedhof«, informierte meine Mutter sie.
    »Wohin? Warum?«, stotterte Frau Silberman.
    »Wir werden Jakob treffen«, erklärte meine Mutter.
    »Meschugene … «
, murmelte Ofers Mutter, und als sie mein Gesicht vor dem Fenster entdeckte, warf sie mir einen mitleidigen Blick zu.
     
    Als ich am nächsten Morgen zur Schule kam, hatte Ofer bereits allen Kindern mitgeteilt, dass mein Vater tot und meine Mutter verrückt sei. Ich kämpfte mit den Tränen. In der Pause wollte Dorit wissen, was eigentlich passiert war.
    »Meine Mutter ist nicht verrückt«, sagte ich verteidigend.
    Über meinen Vater schwieg ich. Und Dorit stellte keine weiteren Fragen.
     
    Als ich an diesem Tag von der Schule nach Hause kam, hing an meiner Zimmerwand meine Geburtsurkunde, in einem vergoldeten Rahmen.
    Ich war als Tochter von Helena und Jakob Roża geboren worden, im Krankenhaus Beilinson in Petach Tikwa, und wog dreieinhalb Kilo. Ich las die Details. Datum, Ort, Geburtsstunde und sogar den Namen der Hebamme.
    »Das Essen wird kalt«, rief meine Mutter aus der Küche.
    »Toll! Nudelauflauf mit Quark, Zucker und Zimt!« Ich war vom Menü des Tages begeistert und aß mit großem Appetit. Meine Mutter saß mir gegenüber und lächelte, ich beklagtemich über die Hausaufgaben, die ich aufbekommen hatte, über die Prüfung in Bibelkunde, und am Schluss fragte ich, ob ich hinausgehen dürfe, um mit Dorit zu spielen.
    Meine Mutter war einverstanden. Nur über meine Geburtsurkunde hatte ich kein Wort verloren, als hätte sie seit dem Tag meiner Geburt schon an der Wand über meinem Bett gehangen.

    Am Tag darauf, am frühen Nachmittag, klingelte unser Telefon. Wieder war es Bracha.
    »Sag, hast du Dorit schon besucht?«, erkundigte sie sich. »Alle waren bereits dort, Sabusch, Ofer und sogar ich. Wann wirst du fahren?«
    »Morgen«, sagte ich. Ich wollte, dass sie mich in Ruhe ließ.
    Aber das tat sie nicht. »Lass mir ein Stück Mohnkuchen übrig«, sagte sie.
    »Aber ich habe doch das Rezept gar nicht«, erinnerte ich sie.
    »Ich finde es für dich«, versprach mir die Archivleiterin. »Und warum kommst du nicht zu uns?«, schimpfte sie dann. »Meine Mutter erwartet dich, sie kann dir einiges erzählen. Erst gestern hat sie mir gesagt, dass sie bei der Hochzeit deiner Eltern gewesen ist. Das war die erste, die in der Synagoge unseres Viertels gefeiert wurde.«
     
    Ich kehrte zu der Sache mit dem Kuchen zurück. Ich hatte das Rezept für einen Mohnkuchen mit Äpfeln gefunden, ohne Brandy: 6   Eier, getrennt, 2   Tassen Zucker, 150   Gramm weiche Margarine, 2   Esslöffel Mehl, 200   Gramm Mohn, 2   Äpfel,1   Teelöffel Vanillezucker. Ich mischte die Zutaten, stellte den Kuchen in den Ofen und bald stieg der festliche Backduft mir in die Nase.

    »Sei du mir angeheiligt mit diesem Ring   …« Helena und Jakob stehen verlegen im Hof der Synagoge. Helena in dem hellen Kleid von Itta, auch Jakobs etwas zu großer Anzug ist geliehen. »Wenn ich dich je vergesse   …«
    Sie betrachten ihre Gäste, Itta und Schmulik Rosenfeld, Fejge und Wladek Friman, Golda und Chajim Poschibuzki, Gitl und Jona Fink;
Alte-sachen -Mietek
und der Synagogendiener, der Vorbeter und natürlich der Rabbiner. Helena und Jakob kennen niemanden, es ist, als wären sie versehentlich auf eine Feier von Fremden geraten.
    Sie schließen die Augen und durch das hindurch, was sie umgibt, kommen ihre Eltern zu ihnen, ihre Geschwister, ihre Verwandten und Freunde.
     
    Das frischvermählte Paar betritt die kleine Wohnung. Helena stellt brennende Seelenlichter auf den Tisch, auf dem eine bestickte Decke liegt. Der Ofen verströmt Wärme, der Aluminiumkessel summt auf dem Petroleumkocher.
    Draußen stürmt es, der Winter ist in diesem Jahr früh gekommen.
    Blitze reißen den Himmel auf.
    Jakob krümmt sich. Die Donnerschläge hallen wie Kanonenschläge.
    Er fiebert.
    Helena gibt ihm ein Schmerzmittel.
    Sie lächelt ihn an. Nun ist das große Glück nahe. Die Flitterwochen beginnen.
    Sie liegen im Bett,

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