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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nach einer Weile
    gedankenverloren und nahm sich eine Praline aus einer
    silbernen Schale. »Auch eine?« fragte er.
    Joentaa schüttelte den Kopf. Er fühlte sich müde und
    in Bezug auf die Eltern des verschwundenen Mädchens
    machtlos. Er dachte über Sundström nach, darüber,
    dass er Sundström in gewisser Weise noch weniger be-
    griff als dessen Vorgänger Ketola. Er hatte sich schon
    häufiger über Sundström Gedanken gemacht, über des-
    sen merkwürdige Art, alles zu ironisieren. Gleichzeitig
    erwies er sich in konkreten, problematischen Situatio-
    nen häufig als sehr effektiv und keineswegs zu Scherzen
    aufgelegt.
    Kimmo kam mit seinen Überlegungen zu keinem
    Ergebnis und dachte irgendwann an Sanna, die sich
    immer amüsiert hatte über seine Neigung, alles und
    jeden bis ins kleinste Detail durchleuchten und verste-
    hen zu wollen.
    Er hörte dumpf die Stimme von Kalevi Vehkasalo, der
    offenbar in einem Raum am anderen Ende des Hau-
    ses auf seine Frau einredete. Neben ihm kaute Sund-
    ström eine Praline, und Kimmo spürte, wie seine Ge-
    danken um Sanna zu kreisen begannen.
    Ein Gedanke kam, den er seit Sannas Tod häufig ge-
    dacht hatte, ein Gedanke, der ihn oft nicht mehr los
    ließ, um dann plötzlich ganz und gar sinnlos und falsch
    zu erscheinen. Der Gedanke, dass er befreit war von
    allem, was andere quälte. Wie jetzt hatte er häufiger
    empfunden in ähnlichen Situationen. Er spürte die
    Angst und die verzweifelte Sorge der Eltern, die nicht
    wussten, was mit ihrer Tochter passiert war, und emp-
    fand gleichzeitig, dass er selbst nie mehr vor irgend
    etwas Angst haben und sich auch keinerlei Sorgen mehr
    machen musste. Weil er, im Gegensatz zu den Eltern
    des verschwundenen Mädchens, diese Phase bereits
    hinter sich hatte, weil er längst das Wichtigste, Sanna,
    verloren hatte.
    Der Gedanke begann, diffus und unangenehm zu
    werden, und offensichtlich tat er etwas, um ihn abzu-
    schütteln, denn Sundström fragte: »Alles klar?«
    »Hm?«
    »Alles klar mit dir? Du hast etwas unvermittelt ge-
    zuckt«, erklärte Sundström.
    »Nein, alles ... es ist nichts.«
    Sundström nickte und nahm sich vorsichtig, als tue er
    etwas Unerlaubtes, noch eine Praline aus der Schale. Er
    verschluckte sich, als in ihrem Rücken die Tür geöffnet
    wurde.
    »Entschuldigung«, sagte Vehkasalo. »Es tut mir sehr
    leid, meine Frau ... macht sich natürlich große Sorgen.
    Ich denke ... wenn das möglich ist, könnten Sie morgen
    mit ihr sprechen, ich selbst stehe Ihnen weiterhin zur
    Verfügung.«
    »Natürlich. Ich verstehe das sehr gut. Ich hoffe, dass
    Ihre Frau heute Nacht ein wenig zur Ruhe kommen
    wird. Am besten, wir klären noch ein paar Dinge, und
    dann machen wir uns auf den Weg.«
    Vehkasalo nickte und nahm wieder ihnen gegenüber
    Platz.
    »Was wir unbedingt brauchen, ist ein Foto Ihrer
    Tochter. Wenn möglich, ein neues. Wir werden es ver-
    mutlich auch in Medien veröffentlichen. Ein Foto, das
    ihr ... sozusagen möglichst ähnlich sieht, das sie also
    zeigt, wie sie heute aussieht. Am besten wäre ein aktuel-
    les Passfoto.«
    Vehkasalo nickte und dachte eine Weile nach. Er
    stand auf, verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit
    mehreren Fotoalben zurück.
    »Meine Frau sortiert sie immer gleich ein«, murmelte
    er, während er in einem der Alben blätterte. »Ab und zu
    sind in der Schule Fototermine, bei denen auch Porträts
    gemacht werden ... ja, hier zum Beispiel.« Er reichte
    ihnen ein Bild, das ein ernst in die Kamera blickendes
    Mädchen zeigte.
    Sundström wendete es um. »Erst kürzlich gemacht,
    das ist gut«, sagte er. »Vielen Dank, wir würden das
    mitnehmen.«
    »Natürlich«, sagte Vehkasalo.
    »Alles Weitere klären wir morgen«, sagte Sundström
    und erhob sich. Sie standen einige Sekunden schwei-
    gend, dann ging Vehkasalo voran.
    »Ich hoffe, dass Sie... sie finden werden«, sagte er, als
    sie auf der Türschwelle standen.
    »Wir tun unser Bestes«, sagte Sundström.
    Sie fuhren auf der Schnellstraße in Richtung Innen-
    stadt. Sundström schlief einige Male ein und erwachte
    ruckartig nach wenigen Sekunden.
    »Schrecklich«, murmelte er. Joentaa wusste nicht,
    was er meinte, das Gespräch mit den Eltern des ver-
    schwundenen Mädchens oder seine Müdigkeit oder
    etwas ganz anderes, und er war selbst zu müde, um
    nachzufragen. Sie trennten sich auf dem Parkplatz vor
    dem Polizeigebäude.
    »Bis morgen«, sagte Sundström und klopfte ihm auf
    die Schulter.
    »Bis morgen«,

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