Das Schweigen
Nachrichten, wenn unsere Tochter so
wohlbehalten ist, wie Sie sagen?«
»Ich möchte Ihnen nur vergegenwärtigen, dass wir
am Anfang stehen«, sagte Sundström. »Ich möchte, dass
Sie, und ich weiß, dass das schwer ist, aber ich möchte
Sie bitten ... Ruhe zu bewahren.«
»Ich bin ruhig. Meine Frau ist auch ruhig«, sagte Veh-
kasalo und legte einen Arm um sie.
Für einige Sekunden herrschte Schweigen.
»Ist denn Ihre Tochter oft diesen Weg gefahren. An
dem Kreuz vorbei?« fragte Joentaa in die sich ausbrei-
tende Stille. Das Ehepaar wechselte Blicke.
»Ich weiß nicht. Wo ist sie eigentlich hingefahren?«
fragte Vehkasalo seine Frau.
»Zum Sport. Zum Volleyball. Sie spielt seit einigen
Monaten, dafür habe ich ihr auch die neuen Sachen
gekauft ...«
»Sie macht ja ständig irgendwas Neues. Man verliert
den Überblick«, sagte Vehkasalo und versuchte ein Lä-
cheln.
»Sie ist also diese Strecke immer zum Volleyballspie-
len gefahren?« fragte Joentaa.
»Ich denke, ja«, sagte Ruth Vehkasalo. »Ich weiß es
nicht sicher, weil ich ja nie dabei war, wenn sie dorthin
fuhr. Aber ich denke, ja.«
»Wie oft hat sie denn Volleyball gespielt?«
»Zwei Mal die Woche hatte sie Training. Und am
Wochenende meistens Spiele.«
»Sie ist sehr sportlich«, sagte Vehkasalo. »Sie hat be-
dauerlicherweise ... kein Stehvermögen. Sie macht dies
und das, sie fängt dauernd was an und bleibt nie dabei.
Aber das mag ja heute ganz normal sein, ich ... es spielt
ja auch jetzt keine Rolle.« Er verstummte.
»Hat sie je dieses Kreuz erwähnt?« sagte Joentaa.
Beide sahen ihn fragend an.
»Ich meine, hat sie davon gesprochen, dass sie an dem
Kreuz vorbeikam, hat sie die Inschrift erwähnt?«
»Nein«, sagte Vehkasalo. Auch seine Frau schüttelte
den Kopf. »Nein, nie. Warum auch?«
»Warum soll Sinikka sich für Dinge interessieren, die
vor dreißig Jahren passiert sind? Da war sie ja noch nicht mal geboren«, sagte Vehkasalo. »Ich frage mich ohnehin,
was dieses Getue soll. Kommt nach dreißig Jahren der-
selbe Psychopath und bringt unsere Tochter um? Ist das
dann Ihre Theorie dazu, oder was haben Sie in diesem
Zusammenhang bisher zutage gefördert?«
»Nichts«, sagte Sundström. »Bislang nichts. Wir ste-
hen am Anfang. Natürlich ist der Fundort ein besonde-
rer, und die Parallele zu diesem tatsächlich lange zurück-
liegenden Fall ist auffällig. Aber ganz ehrlich muss ich
Ihnen sagen, dass ich etwas Vergleichbares noch nie er-
lebt habe. Wir sind zunächst ähnlich ratlos wie Sie.«
Vehkasalo nickte nur, offensichtlich bezwungen von
Sundströms Ehrlichkeit, und seine Frau fragte plötzlich,
ob sie denn nicht einen Kaffee kochen solle, und war
schon aufgestanden.
»Nein, nein, besten Dank«, sagte Sundström. »Wann
ist Ihre Tochter denn zum Volleyballtraining aufgebro-
chen? Haben Sie noch mit ihr gesprochen, bevor sie los-
fuhr?«
»Ja, sicher. Kalevi war im Büro, aber ich war da, wir
haben gemeinsam zu Mittag gegessen, und dann ist Si-
nikka zum Volleyballtraining gefahren und ich habe am
Nachmittag meine Schwester in der Stadt getroffen.«
»Worüber haben Sie während des Essens gesprochen?«
fragte Kimmo Joentaa. »Gibt es etwas, das Ihnen jetzt,
im Blick auf Sinikkas Verschwinden, ungewöhnlich
erscheint? Etwas, das sie gesagt hat?«
Sinikkas Mutter dachte eine Weile nach, schüttelte
dann bedächtig den Kopf. »Nein, wirklich nicht. Wir ...
heute war ja der letzte Schultag, deshalb ...« Ihre
Stimme brach, sie begann zu weinen, fuhr aber fort:
»Wir haben natürlich gestritten wegen ihres Zeugnisses,
und ich war wohl laut geworden, weil ... weil wir ja
eigentlich immer nur gestritten haben!« Sie begann
plötzlich zu schreien. Joentaa spürte, wie Sundström
neben ihm zusammenzuckte. »Weil es einfach unmög-
lich ist, mit Sinikka nicht zu streiten!« schrie sie. »Weil sie immer nur alles haben will und nichts zurückgibt!
Und jetzt ist sie ganz weg!! Jetzt ist sie ganz weg!! Jetzt ist sie nämlich ganz, ganz weit weg!!!« Sie schlug auf
ihren Mann ein, der stocksteif dasaß, dann stand sie auf
und rannte aus dem Zimmer. Kurz darauf schlug eine
Tür. Vehkasalo starrte mit halb geöffnetem Mund in
die Richtung, in die seine Frau gerannt war.
»Entschuldigung, das ist ... es tut mir furchtbar leid«,
sagte er. »Ich werde ... nach ihr sehen.«
»Natürlich«, sagte Sundström.
Vehkasalo ging wie in Trance.
»Natürlich«, wiederholte Sundström
Weitere Kostenlose Bücher