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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Stechmü-
    cken.
    Er fühlte sich noch immer merkwürdig leicht.
    Schwerelos. Die Gäste waren lange geblieben. Sie hatten
    den Abend genossen, die Wärme, die helle Nacht, die
    Kinder hatten gespielt, Arvi hatte Geschichten erzählt,
    Marjatta, Johanna und selbst Pekka hatten laut durch-
    einander geredet und sich prächtig amüsiert.
    Vielleicht hatte die Nachricht vom Verschwinden des
    Mädchens in Turku sogar dazu beigetragen, vielleicht
    hatten alle nach einer Weile des Darüber-Redens nur
    um so stärker das Gefühl verspürt, selbst in allerbesten
    Verhältnissen zu leben ... in Sicherheit zu sein ... etwas in der Art.
    Timo Korvensuo fühlte eine vage Zufriedenheit da-
    rüber, dass er die anderen durchschaute. Obwohl es na-
    türlich ganz unerheblich war. Er schweifte ab, er ent-
    fernte sich von etwas, dem er noch nicht nah gekommen
    war, obwohl er sich die ganze Zeit ausschließlich darauf,
    auf dieses Bestimmte, zu konzentrieren versuchte.
    Natürlich war es wichtig.
    Etwas Wichtiges war passiert.
    Es fiel ihm schwer, es in Gedanken auszuformulie-
    ren, es auf den Punkt zu bringen.
    Er hatte zu viel getrunken, er vertrug ja nichts, er
    trank ja sonst nie. Er fühlte sich müde und gleichzeitig
    hellwach, er konnte die Augen kaum noch offenhalten,
    aber auch nicht mehr schließen, denn sobald er das tat,
    strömte ein Schwall von Schwindel in sein Hirn, der
    unmittelbar einen schwer zu kontrollierenden Brechreiz
    auslöste.
    Er erwog, ins Badezimmer zu gehen und sich zu
    erbrechen, danach würde es sicher besser werden, vor
    allem würde er wieder einen klaren Kopf bekommen,
    und er brauchte einen klaren Kopf.
    Er blieb liegen. Er dachte darüber nach, wie oft er sich
    in seinem Leben übergeben hatte. Nicht oft. Er konnte
    das nicht, hatte das nie gekonnt. Ein einziges Mal hatte
    er wirklich richtig gekotzt, hatte alles aus sich heraus gekotzt, bis der ganze Teppich von seinem Mageninhalt
    bedeckt gewesen war, als Kind, er erinnerte sich genau,
    ein Reisgericht, Reis und Curry, das ihm sehr gut ge-
    schmeckt hatte.
    Und ein zweites Mal, daran erinnerte er sich in die-
    sem Moment, diese Erinnerung war bis vor einer Se-
    kunde verschüttet gewesen, aber jetzt stand sie ihm vor
    Augen. Er hatte mit Freunden eine Fahrradtour unter-
    nommen, und einer hatte ständig roten Fuselwein in
    Pappbecher gegossen, und er hatte bereits am frühen
    Abend das Bewusstsein verloren, der einzige Filmriss
    seines Lebens. Er hatte deshalb auch den Vorgang als
    solchen gar nicht miterlebt, er hatte nur am Morgen ge-
    rochen und klitschnass gespürt, was an seinem Schlaf-
    sack hing.
    Seitdem war es ihm nie wieder passiert, und es würde
    ihm auch heute nicht passieren, denn er würde
    liegenbleiben, er würde sich keinen Zentimeter weit
    fortbewegen. Nicht bewegen. Einige Mücken summten.
    Marjatta schlief ruhig, fast unhörbar, sicher hatte sie
    am wenigsten von allen getrunken, genau die Menge,
    die sie vertrug.
    Korvensuo versuchte, sich zu konzentrieren, aber es
    war unmöglich. Seine Gedanken kreisten, und sein
    Hirn bestand aus Watte.
    Er hatte Kopfschmerzen, schlimme Kopfschmerzen,
    schlimm wie lange nicht. Deshalb würde er jetzt doch
    aufstehen müssen, er benötigte Tabletten, mehrere auf
    einmal, um diesen Schmerz zu tilgen, der plötzlich be-
    gonnen hatte, sich in sein, wie er fand, flauschiges Wat-
    tehirn hinein zu bohren. Aufstehen.
    Er fühlte sich wankend laufen, im Hintergrund Mar-
    jattas Stimme, er hörte nicht, was sie sagte, er hörte nur sich selbst etwas grunzen: »Schlaf weiter!«, war es wohl.
    »Schlaf weiter!«
    Er stand am Kühlschrank, er hielt die Tür in der
    Hand, stützte sich mit dem anderen Arm auf der Ar-
    beitsplatte ab und starrte die mit eiskaltem Wasser ge-
    füllte Flasche an, die er gleich in einem schnellen, end-
    gültigen Zug trinken würde. Sobald er die Kraft dazu
    fand und vor allem die Tabletten.
    Er wandte sich ab und kramte in einer Schublade.
    Der Schwindel nahm wieder zu. Seine Hände zitterten.
    Er fand eine Packung und versuchte eine Weile
    erfolglos, die Tabletten herauszunehmen.
    Als er sich aufrichtete, kehrte der Brechreiz zurück.
    Er starrte den Wasserhahn an. Er zerrte und riss an der
    Verpackung, bis endlich drei Tabletten in seinen Händen
    lagen. Er ließ sie im Mund ein wenig zergehen, bevor er
    die Flasche nahm und das kalte Wasser in seinen Rachen
    kippte. Er hatte das Gefühl, sein Kopf sei nun bereit zu
    platzen.
    »Schlimm?« hörte er Marjattas Stimme

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