Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
Taucher die Leiche
    eines Menschen fanden, dessen Namen sie inzwischen
    kannten. Vermutlich.
    Kimmo stellte das Glas ab und spürte, was ihn wach
    hielt. Zum ersten Mal an diesem Tag fand er die Zeit,
    überhaupt konzentriert über das nachzudenken, was
    passiert war. Er musste morgen mit Ketola sprechen,
    Ketola würde ihnen möglicherweise helfen können.
    Wobei auch immer.
    Als Grönholm vorhin von einem möglichen Scherz
    gesprochen hatte, hatte er in Gedanken zugestimmt.
    Ein Scherz, oder wie immer man das nennen wollte, er-
    schien einerseits absurd, aber noch absurder war die
    Vorstellung, ein Täter habe dreiunddreißig Jahre nach
    der Tat das gleiche Verbrechen am selben Ort noch ein-
    mal begangen.
    Da sich inzwischen herauskristallisierte, dass Si-
    nikka Vehkasalo verschwunden war, hatte sich die Idee
    eines Scherzes erledigt. Am wahrscheinlichsten er-
    schien Joentaa ein Nachahmungstäter. Was immer die-
    sen Täter dreiunddreißig Jahre später dazu veranlasst
    haben konnte. Er war möglicherweise auf das Kreuz an-
    gesprungen, auf die Beharrlichkeit, mit der es an Pia Leh-
    tinen erinnert hatte, irgend etwas hatte dieses Kreuz in
    ihm ausgelöst...
    Wenn der Täter tatsächlich die damaligen Ereignisse
    von neuem ablaufen lassen wollte, würde es Monate
    dauern, bis sie die Leiche von Sinikka Vehkasalo finden
    würden, denn auch nach Pia Lehtinen hatten sie
    Monate lang gesucht. Dann endete die Parallele ganz
    einfach aus pragmatischen Gründen, der Täter von
    heute wusste, dass sie früher oder später den See von
    damals absuchen würden, und hatte deshalb einen
    anderen Fundort gewählt, einen, auf den die Ermittler
    erst wesentlich später stoßen sollten.
    Andererseits, wenn es dem Täter, aus welchen Grün-
    den auch immer, um eine Wiederholung ging, um eine
    Wiederkehr dessen, was damals passiert war, blieb eine
    merkwürdige Abweichung in einem entscheidenden
    Punkt ... vorausgesetzt, sie fanden die Leiche nicht doch
    noch morgen in dem See.
    Joentaa erhob sich abrupt, genervt von seinen eigenen
    Spekulationen, die zu nichts führten, während in dem
    hellgrünen Haus in Halinen Ruth und Kalevi Vehka-
    salo aus Sorge um ihre Tochter nicht schlafen konnten.
    Er wendete sich vom See hinter dem Fenster ab, sein
    Blick fiel auf die beiden Fotos auf dem Bücherregal. Sie
    hatten immer da gestanden, seitdem sie hier eingezogen
    waren, Joentaa hatte sie in den Wochen nach Sannas
    Tod entfernt und nach einiger Zeit an ihren Platz zu-
    rückgestellt.
    Er stand auf und betrachtete die Fotos aus der Nähe.
    Ein Bild zeigte Sanna als kleines Kind, das Datum auf
    der Rückseite verriet, dass sie damals zwei Jahre alt
    gewesen war. Sanna hatte soeben ihrer Mutter Merja
    einen Keks aus der Hand geschlagen, der Keks flog in
    hohem Bogen Richtung Kamera, Merja hatte den
    Mund weit aufgerissen, und Sanna sah zutiefst wütend
    aus, vermutlich, weil ihre Mutter es gewagt hatte, diesen
    Keks essen zu wollen, ohne ihr etwas davon abzugeben.
    Jussi, Sannas Vater, musste in dem Moment, in dem er
    den Auslöser drückte, gezuckt haben, denn das Bild war
    leicht verwackelt. Ein wunderbares Bild. Kimmo fühlte
    ein Lächeln auf seinem Gesicht.
    Das andere Foto war wenige Monate, vielleicht sogar
    nur Wochen, vor der Krebsdiagnose gemacht worden.
    Als alles noch in bester Ordnung gewesen war. Sanna
    hatte gerade begonnen, als Architektin zu arbeiten. Das
    Foto zeigte sie vor ihrem Schreibtisch stehend, Kimmo
    erinnerte sich, dass sie dieses Foto unbedingt hatte
    machen wollen, sie hatten einen Abzug an ihre Eltern
    geschickt. Ihr Gesichtsausdruck verriet Stolz und Zu-
    friedenheit. Und die Gewissheit, dass alles so gut weiter-
    gehen würde. Kimmos Blick wanderte von Bild zu Bild
    und blieb irgendwann an dem kleinen Mädchen hän-
    gen, das seiner Mutter einen Keks aus der Hand schlug.
    Sanna.
    Sanna ein laufender Meter mit roten Backen.
    Er ging ins Badezimmer, wusch sich und lag an-
    schließend lange wach, auf dem Rücken, mit geöffneten
    Augen.

    7

    Timo Korvensuo hörte Marjatta neben sich langsam
    und regelmäßig atmen. Sie hatte die Decke fest um sich
    geschlungen. Es sei ein schöner Abend gewesen, hatte
    sie gesagt, kurz bevor sie eingeschlafen war.
    Eine Weile hatte Timo Korvensuo durch das geöff-
    nete Fenster leise das Gekicher seiner Kinder gehört,
    Aku und Laura schliefen unten am See im Zelt. Inzwi-
    schen waren auch ihre Stimmen verstummt, und das
    einzige, was er hörte, war das Summen von

Weitere Kostenlose Bücher