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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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fühlen zu können; der Schmerz verlieh ihr ein Hier und Jetzt und bahnte für sie erst die Empfindung von Lust an, bannte ihre Gedanken ins Fleisch. Verzeih mir, dass ich dir das alles jetzt erzählen muss, aber ich kann nicht anders, will ich bei der Wahrheit bleiben.
    Es begann zunächst harmlos, indem sie die Kerze anzündete und mir hinhielt, damit ich heißes Wachs auf ihre weiße Haut tropfen ließ, den Rücken hinunter bis auf ihr Geschlecht, das zwischen ihrem hellroten Schamhaar aufklaffte. Sie wollte auch gefesselt werden, zunächst nur an den Handgelenken, manchmal auch die Brüste abgeschnürt haben, die Messingschnur umwickelt mit dem blauen Band, damit bei ihrer nächsten Sitzung keine Druckstellen sichtbar waren. Bald aber verlangte sie von mir, ihr ins Gesicht zu spucken, ein Akt der Erniedrigung, zu dem ich mich nur schwer überwinden konnte, mein Mund viel zu trocken, jede Erektion längst faltig verschrumpft. Bis sie schließlich geschlagen werden wollte, mir genaue Instruktionen gebend, auf welche Weise keine Male zurückblieben. Danach musste ich mich in ihrem Nacken festbeißen, die Schneidezähne im Hals, das war das einzige, was mir leichtfiel – die angestaute Wut über diese Demütigung meiner selbst loszulassen, das Blut hochschießend in mir, dass dabei auch mein Glied wieder hart wurde. Es war ein Ritual, das mit dem Desinfizieren einen Abschluss fand: das Brennen in der winzig aufklaffenden, blutenden Haut ließ ihren Atem stoßweise tiefer gehen, selbstvergessen in dem Maß wie ich mich innerlich wieder davon löste.
    Blickte ich ihr danach ins Gesicht, kamen mir jedesmal die vielen ›Fabiolas‹ in den Sinn, die mein Freund Louis auf Flohmärkten sammelte, all die voneinander abweichenden Kopien eines verschollenen Originals mit den changierenden Rottönen des Kopftuchs, das das Antlitz bis auf ein schmales Profil verhüllte. Damals verstand ich nicht, weshalb sich mir diese Assoziation aufdrängte. Jetzt sehe ich darin das Körperliche sich vervielfältigen, unzähligen Kopien gleich, die ein Original immer wieder übermalen, um es damit auszulöschen. Vor allem aber erkenne ich in einigen dieser Heiligenbildchen nun das Gesicht deiner Mutter, in jenen Kopien nämlich, die Louis selbst anfertigte. Oder wie er es ausdrückte, auf einem der vielen Zettel, die er gerne bei mir im Studio liegen ließ, damals, als wir noch nach dem ›Ungreifbaren‹ suchten:
     
    aufrütteln das voreingenommene, befangenes wachschütteln – aus dem gleichgewicht bringen – offen für den augenblick – die leuchtspur eines anderen blicks, von innen.
    Und so trockneten die scharlachroten Tropfen in dem Stoff, mit dem ich ihren Nacken abtupfte, zu einem schmutzigen Braun und ließen mit ihrem Strichwerk ein Bild entstehen, das deiner Mutter ähnlicher war als alles, was sich zeichnen ließ: das Gesicht der blutflüssigen Veronika; ein Sudarium.
    So unterschiedlich wir auf all dies reagierten – indem wir etwas außerhalb der Norm taten, band es uns aneinander. Ich aber merkte viel zu spät, dass ich es war, der gefesselt wurde, während deine Mutter gleichsam geheilt schien, selbstsicher, fröhlich gar, wenn auch für kurze Zeit. Ein Paar wurden wir darüber nicht.
    Deine Mutter ertrug Nähe schwer; ich war stets nur ein Gast, dem sie nach drei Tagen die Tür wies, um mich schon bald durch sehnsüchtige Telefonate wieder zurückzubitten. Eine eigene Wohnung musste ich deshalb all die Zeit behalten; sie gestand mir bei sich keinen Raum zu. Von ihrer Eifersucht will ich gar nicht reden: ein Frauenname genügte, selbst wenn es sich nur um einen beruflichen Kontakt handelte, damit ihr der Zorn in den Kopf stieg, während ich das Interesse an anderen Frauen längst verloren hatte. Dass sie mir nicht vertraute, erschien mir umso absurder, glaubte ich doch, ihr meine Liebe bewiesen zu haben, durch meine Ausdauer, durch all die Liebesbeweise, die ich mir einfallen ließ, durch die Lust nach diesen wöchentlichen Versöhnungen, die alles vorige durch ihre Intensität vergessen machten.
    Doch je größer der Bauch deiner Mutter wurde, desto weniger durfte ich sie berühren. Weil wir nicht mehr in einem Bett schliefen, wanderte ich von ihrem Sofa langsam wieder zurück in meine Garçonnière, die mir auch als Atelier diente, während ich noch immer nach einem Haus für uns drei zu suchen begann, obwohl ich nicht gewusst hätte, womit es bezahlen. Bis mich deine Mutter eines Tages, da warst du neun Monate alt,

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