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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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kann nur sagen, dass er mich mit einem rosaroten Stift Kringel in einen rosaroten Block malen ließ, während er dir mit zwei Fingern über die Ferse streifte. Und dann bist du wieder in deine Sandalen geschlüpft und verschwunden. Die Liebe ist ein Gott, der einem auf der Schulter sitzt, und er hat hundert Namen und noch mehr Gestalten.

ZWÖLF
    Das war ich, vor wenigen Jahren noch. Was am Ton solcher Sätze ist es, dass alles einfacher scheint, als es ist? Als käme es nur darauf an, womit man beginnt, wo man Kommata setzt und wie weit man mit Worten gehen will.
    In Paris war es noch warm genug, dass die Marmortische auf der Straße blieben, die Schatten von Kanne, Tasse, Glas und Löffel von der Sonne nunmehr ausgezehrt, dass sie unwirklich erschienen.
    Dort sahen Kim und ich uns wieder, im immer selben Café, unter dem durchsichtigen Vorwand, uns über unsere Arbeit auszutauschen. Eigentlich aber, als gäbe es zwischen uns eine Übereinkunft, über deren Natur ich lieber im Ungewissen blieb – bis Kim in das metallene Körbchen auf dem Tisch griff und mir sagte, dass ich für sie nach diesem Brot da schmeckte, warmem Brot, dem Weichen unter der Kruste. So roch ich nur für sie; ich habe an mir noch nie einen Geruch feststellen können.
    Wozu Kim sich hingezogen gefühlt haben musste, war wohl das Ich jener Jahre, eines, das bereit zu allem war, offen, voll unentfalteter Möglichkeiten. Warum sonst hätte sie an mir Interesse zeigen sollen? Sie war es, die wusste, wo Linien zu ziehen und Grenzen zu setzen sind, während ich im Grunde erst jetzt den Unterschied erkenne zwischen der Liebe zu einem Kind und der Liebe zu einer Frau, was Liebe ist, jenseits bloßen Begehrens und diesseits des treuherzigen Verlangens eines Kindes.
    Es war seltsam genug. Ich hatte ihr Avancen gemacht, ohne letztlich zu wollen, dass sie zu irgendetwas führten – um nun mein immer fremder werdendes Leben vor ihr auszubreiten. Doch Kim bedrängte mich nicht, sondern hörte mir zu, ohne viel von sich preiszugeben, sodass anfangs schwer zu sagen war, ob sie sich langweilte oder bloß spröde gab. Mich nahm an ihr vor allem ein, dass sie sich nicht im geringsten daran stieß, dass ich Vater war, und sie mir Raum ließ, mich langsam aus den Verstrickungen mit deiner Mutter zu lösen.
    Diese meine erste Auslandsreise hatte etwas in mir aufgebrochen und freigelegt: Kim zu sehen bedeutete an einer mir bislang unbekannten Leichtigkeit festzuhalten. Sie setzte mein Leben in ein anderes Licht, ermöglichte eine Distanz, so wie man bei einem Bild manchmal zurücktritt, um es besser wahrnehmen zu können.
    Indem ich Kim gegenüber mein Leben mit deiner Mutter in immer ausführlicheren Gesprächen darstellte, war ich gezwungen, mich als Protagonisten darin zu sehen, wurde mir meine bisherige Passivität bewusst. Ich kam von diesen Treffen selbstbewusster zurück und nicht mehr jeder Aufforderung deiner Mutter um Zuwendung unverzüglich nach. Sie reagierte mit Abweisung, ohne zu merken, dass sie mir damit eine Tür aufstieß, die ich von selbst nie geöffnet hätte. War ich mir doch nicht bewusst, dass sie wirklich die Macht hatte, mich von dem zu verstoßen, was mir am liebsten war.
    Der sich auftuende Spalt in meiner bis dahin völlig abgeschlossenen Welt genügte, sie ins Wanken zu bringen. Wie unabhängig davon, gewann in mir etwas Gestalt, das ich seit meiner Kindheit unterdrückt hatte, ein tiefes Sehnen, das ich nicht mehr zu stillen wusste. Bereits wenn ich Kim unter den Passanten auf mich zugehen sah, durch die Fächer von Licht, die durch das Parkgitter fielen, überkam es mich mit ungeahnter Intensität, dass ich nicht anders konnte, als es für wahr zu halten. Saßen wir uns dann gegenüber, wiederholte ich innerlich immer nur einen Satz: ich will dich, ich will dich… Mein Mund formte tonlos diese drei Worte, im selben Mutismus befangen wie du, wobei es mich alle Kraft kostete, sie nicht auszusprechen, dennoch aber voller Hoffnung, Kim könne mir diesen stummen Wunsch von den Augen ablesen.
    Was aber sah ich wirklich in ihr? Gerade der Direktheit wegen, die sie stets an den Tag legte, glaubte ich bei ihr eine mir wohlbekannte Unerfülltheit erkennen zu können: sie erschien mir wie ein eben fertiggestelltes Haus, durch dessen Fenster man jemanden gehen sieht, der prüfenden Blickes die Arbeiten begutachtet, die Schritte von den kahlen Wänden und dem Betonboden widerhallend. Ich wünschte mir damals nichts inständiger, als es gemeinsam

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