Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
leise Musik und auch Lachen waren bis hier zu hören.
»Es ist alles in Ordnung, Peter. Vorläufig jedenfalls.« Peter starrte zu ihr hoch, setzte sich aber sogleich in Bewegung und rannte zum Hof, zum Eingang zur Großen Halle. Kierans erster Blick galt Seiner Lordschaft, der zweite dessen abgelegten Sachen. Kitty drehte sich um und war nicht weniger verdutzt über das Bild, das sich ihr bot.
Kerzengerade stand Seine Lordschaft da, die Arme an der Seite, das Gesicht ausdrucksleer, als hätte er zusammen mit Jackett und Schlips auch alles Leben und Fühlen abgeworfen. Ein leichter Windzug spielte mit dem offenen Hemdkragen. »Es war nicht meine Absicht, Ihre Festlichkeiten zu stören. Ich bitte um Verzeihung. Auch ist mein Äußeres nicht dazu angetan, mich unter Menschen zu mischen. Dafür bitte ich ebenfalls um Verzeihung. Vielleicht könnten Sie mich jetzt hier allein lassen; ich verspreche, Sie finden mich hier nicht mehr vor, wenn Sie wiederkommen.«
Kopfschüttelnd versuchte Kieran, seiner Verwirrung Herr zu werden. »Was hat Sie überhaupt hierher nach oben getrieben?«
»Da Sie mich so direkt fragen, muss ich wohl auch antworten.« Es dauerte einen Moment, ehe er weitersprach. »Ich gedenke zu springen. Man wird mich – oder besser, das, was von mir übrigbleibt – am Fuß des Turms finden. Um beiseitegeschafft zu werden, so wie in einem Brief festgehalten, der sich in meiner Tasche dort befindet.« Er machte eine Kopfbewegung zum Jackett hin. »Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollten, ich würde gerne das vollbringen, was ich mir vorgenommen habe.«
»Sie … Sie wollen springen?« Auch Kitty schüttelte den Kopf, offensichtlich in einem ähnlichen Versuch wie ihr Mann, die Situation zu erfassen.
»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Ja, ich gedenke zu springen. Und wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich dabei mit mir allein sein.«
»Springen? Warum?« Kieran schob die Stirn ein wenig vor, um dem Mann genau in die Augen sehen zu können.
»Sinn und Zweck sind doch wohl offensichtlich.«
»Aber warum? Ich meine, Sie … Sie müssen doch einen Grund haben.« Kitty konnte das Kopfschütteln nicht lassen.
»Da können Sie ganz sicher sein. Ja, ich habe einen Grund. Aber auch der ist – nehmen Sie es mir nicht übel – meine ureigenste Sache.«
In der Öffnung tauchte Peters Kopf auf, und gleich darauf erschien der ganze Junge neben der Brüstung. Sein Brustkorb – zart und gebrechlich – hob und senkte sich heftig, als er keuchend nach Luft schnappte. »Er … er …«
Kieran legte ihm die Hand auf den Rücken. Durch den schmächtigen Körper konnte er die Schulterblätter wie Höcker spüren. »Sachte. Sachte.«
»Er … er …«, stotterte Peter. Mehr brachte er in seiner Atemnot nicht heraus.
Kitty stellte sich neben den Jungen. »Du kannst uns alles erzählen, aber komm erst mal zur Ruhe. Atme tief durch. Schön langsam.«
Peter schrie auf. Seine Lordschaft hatte ein Bein über die Brüstung geschwenkt und versuchte, mit den Händen Halt an den Steinen zu finden, um auch das andere Bein nachziehen zu können. Kieran sprang rasch hinzu, packte Seine Lordschaft am Leib und zerrte ihn zurück. Zwei Hemdenknöpfe mussten bei diesem Gewaltakt daran glauben. Seine Lordschaft leistete nicht den geringsten Widerstand. Er stand ganz still, mit gesenktem Kopf, die Arme schlaff an den Seiten.
Peter hatte einen der abgesprungenen Knöpfe aufgehoben,die neben seinem rechten Fuß gelandet waren. Diesmal aber richtete er den Blick in die Ferne, auf das Meer, und nicht auf den Knopf. »Sein ganzes Leben lang«, fing Peter an, »weit weg in Australien, hat Mr. Shaftoe – oder sollte ich lieber sagen Lord Shaftoe –, sein ganzes Leben lang hat er davon geträumt, hierherzukommen und die Burg zu bewohnen, in der seine Vorfahren gelebt haben. Über Generationen hinweg ist das Thema Burg in der Familie lebendig geblieben, und …«
»Unsinn! Das arme Kind redet …« Lord Shaftoe war bei Peters Worten zusammengezuckt. »Warum lassen Sie den Jungen einen solchen Unsinn schwafeln?«
Unbeirrt fuhr Peter fort. »… und die Burg wieder in seine Hände zu bringen und hier zu leben, war sein sehnlichster Wunsch. Er kannte die Geschichten mit dem Sprengstoff und den Geistern. Sie störten ihn nicht. Es ging ihm einzig und allein darum, …«
»Schluss jetzt! Er soll den Mund halten. Bitte, ich …« Seine Lordschaft mäßigte sich im Ton, seine Stimme klang eher verzweifelt, als
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