Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
Fallgatter, das man in Situationen wie jetzt bei der Ankunft besagten Schweins hätte herunterlassen können. Dabei hatte die Burg durchaus ihre Vorzüge. Sie verfügte über einen Innenhof, in dem Hunde in der Sonne hätten liegen können (falls die dort jemals schien). In den Arkaden gab es Schuppen und Ställe, aus denen der gesunde Gestank von Tierdung bis in die Große Halle dringen konnte, in der einst höchstwichtige Angelegenheiten und Verteidigungsstrategien debattiert und zerredet worden waren. Hoch oben von der Plattform des Eckturms, die man über eine steinerne Wendeltreppe erreichen konnte, die auch an dem ehelichen Schlafgemach vorbeiführte, hatte man einen großartigen Blick über die Weiten Kerrys. Man konnte die schneebestäubten Höhenzüge der Macgillicuddy’s Reeks sehen, man konnte Küheund Schafe zählen und im Westen in der Ferne das Meer nach freundlich oder feindlich gesinnten Schiffen absuchen. Trotz der Entfernung konnte man die Salzluft riechen, konnte den Duft von Ginster und Heide, von Weiß- und Rotdorn oder auch Geißblatt in sich aufnehmen.
Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben, so großartig war die Burg nun auch wieder nicht. Der zweistöckige grobe Steinklotz mit dem vierstöckigen Eckturm erinnerte eher an den Prototyp eines Baus, wie er überall auf den Inneren Ebenen Amerikas steht – Scheune mit Silo, nur dass dieser mächtige Koloss hier schon die Jahrhunderte überdauert hatte. Und was im Augenblick am meisten störte: Es gab nirgends ein verborgenes Gelass, wohin sich Kitty – wie vor Zeiten die ansässige Bevölkerung – hätte flüchten können, um unerwünschten Belagerungen zu entgehen.
Was sich aber da auf dem Pickup unaufhaltsam näherte, war ein ungebetener Gast, der tat, als hätte er gerade bei buntem Markttreiben den ersten Preis gewonnen, und nun den ihm gebührenden königlichen Umzug durch das Land genoss und die Huldigungen derer, die das Glück hatten, den Weg säumen zu dürfen, wie selbstverständlich hinnahm.
Damit Kitty nicht den Eindruck erweckte, sie hätte dort gestanden, um ein unwillkommenes Schwein willkommen zu heißen, und auch, um ihren Neffen und seine Liebste wissen zu lassen, dass sie ihr ungelegen kamen und sie bei der Arbeit störten, winkte sie ihnen nur flüchtig zu und gab vor, gerade auf dem Weg in den hintersten Winkel zu einem Verschlag zu sein. Dort häufte sich jede Menge Abfall, den die vorherigen Bewohner der Burg, schlichtweg Hausbesetzer, zurückgelassen hatten: befleckte Matratzen, zerbrochene Lampen, nicht mehr brauchbare oder in Momenten der Verzweiflung zerschmetterte Computerteile; eine kaputte Gitarre, Schuhe, Stiefel undSandalen, meist ohne den dazugehörigen Partner; Lehrbücher (eins über Ökonomie), zerfledderte Paperbackausgaben (unter anderen zwei von Kittys unnachahmlichen Schöpfungen), Zeitschriften und etliche Bücher in irischer Sprache, nicht nur Peig Sayers, dem Fluch, dem kein Schulkind entkam, durch dessen irische Texte es sich hindurchquälen musste, ob es wollte oder nicht, sondern auch Sean O’Conaill und Tomás Ó’Criomhthain; und als Krönung vom Ganzen ein Fernsehapparat mit offensichtlich eingetretenem Bildschirm.
Der Lastwagen kam zum Stehen, und Kittys Neffe Aaron kletterte aus der Fahrerkabine. Er trug khakifarbene Hosen, ein rotes Sweatshirt, auf dem das Wort WISCONSIN prangte, und ein Paar verdreckte Sneakers. Auch Lolly tauchte auf, sie hatte auf dem Beifahrersitz gesessen. Bekleidet war sie mit viel zu weiten Wollhosen, in der Tat dermaßen groß, dass sie gut und gern einem früheren Liebhaber gehört haben konnten, der sie bei einem seiner wiederholten Besuche bei der nur allzu empfänglichen Lolly in längst vergangenen Tagen – und Nächten – hatte liegenlassen.
Lolly ließ sich häufig in solcher Aufmachung blicken. Manchmal hatte Kitty gedacht, Lolly wollte damit ihren Beruf als Schweinehirtin herauskehren. Einer Schweinehüterin durfte man ja wohl nachsehen, dass sie enge Jeans und Designerstiefel mied und abgelegte Klamotten trug, die für die widerlichen Arbeiten, die ihr Broterwerb mit sich brachte, besser geeignet waren.
In weniger mitfühlenden Augenblicken aber – und derer gab es viele – war Kitty überzeugt, dass Lolly McKeever, jetzt Lolly McCloud, für jedermann sichtbar, mit Sachen von einem früheren Liebhaber prahlte. Dass sie selbst nach ihrer Heirat mit Kittys Neffen sich in derart unschicklichem Aufzug zeigte, verdiente wahrlich Empörung. AberKitty
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