Das Schwein unter den Fischen
italienischer Akzent.
In einem Dämmerzustand, in dem ich schon fast anfange zu träumen, sehe ich das viele Wasser wieder, die alte Frau und die Katze im Boot, Reiner, Lollo, die Ramona die Hand schüttelt und sagt: »Sie sind also die Stiefmutter von Celestine, geht es Ihnen gut? Ich habe gehört, Sie können sich an nichts erinnern, sprechen Sie Deutsch? Oder haben Sie das auch vergessen? Ich benehme mich auch manchmal wie eine Deutsche. Ihre Stieftochter ist Enki nachgereist, dabei hat er sie längst vergessen, obwohl ihm nichts auf den Kopf gefallen ist!« Dann wirft sie den Kopf zurück und lacht hysterisch, so wie Enkis Mutter im Café.
Ich schrecke hoch. Enki will nicht, dass ich hier bin. Natürlich nicht! Heinrich und seine albernen Tricks, die mich hierhergelockt haben. Jetzt bin ich in diesem riesigen Haus und schäme mich. Niemand hat mich erwartet, aus Verlegenheit hat man mir dieses Zimmer angeboten.
Ich hätte es doch besser wissen müssen, ich wusste es ja besser, ich wollte nicht hierherkommen. Was hat Heinrich gesagt? Von Wasser allein ertrinkt man nicht! Jetzt ertrinke ich doch. Und was war mit dem Affen, der seine Autonomie für ein paar blöde Nüsse verliert? Heinrich wollte Schicksal spielen mit seiner alten Karte und dem blöden Leuchtstift! Dabei wollte Enki mich loswerden. Würde ich ihm etwas bedeuten, wäre er niemals einfach so verschwunden. Er hätte es nicht gekonnt. Lässt man einen geschätzten Menschen ohne eine Erklärung zurück? Nicht, wenn man ihn noch einmal wiedersehen will.
Mein Nacken schmerzt. Ich kneife die Augen zusammen, drehe mich auf den Bauch, wünschte, ich könnte einschlafen. Aber es geht nicht. Also stehe ich auf und gehe hellwach im Zimmer auf und ab. In einer Ecke stehtein Korb voller Prospekte und Reiseführer. Als ich darin blättere, entdecke ich einen Artikel über Lollo und ihre Arbeit. Darunter steht in einem roten Kästchen die Adresse der Villa Alba und Lollos richtiger Name. Ein nie gekannter Schwindel überkommt mich, dazu die schlimmste Migräne meines Lebens. Das Zimmer dreht sich wie ein Karussell, wird immer schneller, ich beginne zu zittern und falle in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir komme, habe ich auf den Boden gekotzt.
Wankend suche ich Zigaretten, sehe überall nach, denn obwohl mir noch immer übel ist, habe ich einen verdammt großen Schmachter. Ich suche sogar unterm Teppich und unter der Matratze nach Zigaretten, finde aber nur einen Flachmann. Sofort nehme ich einen Schluck, das Zeug schmeckt so hochprozentig, dass mir die Kehle brennt. Ein schmerzhafter Druck im Bauch lässt mich mit einem Ruck zusammenfahren, ich krümme mich, Magensäure schießt bis in meinen Mund. Ich rolle mich auf dem Bett ein und entdecke in dieser Position eine weitere Tür in dem Zimmer, die mir bisher entgangen war. Sie ist sehr schmal und wurde mit der gleichen Tapete beklebt wie die Wand. Dahinter befindet sich ein sehr kleiner Raum mit einem niedrig angebrachten Waschbecken. Es hängt kein Handtuch an dem langen Nagel darüber. Es gibt auch keine anderen Gegenstände zum Gebrauch. Nur ein riesiges, schneeweißes Stück Seife liegt dort. Damit spüle ich mir den Mund aus. Dann pinkele ich im Stehen in das Waschbecken.
Einen der Prospekte schiebe ich unter die Kotze, reiße ein paar Seiten heraus und bedecke sie damit. Mit dem kantigen Stück Seife und einem Eimer Wasser versuche ich den Fleck auf dem Teppich wegzuputzen, doch es entsteht ein noch größerer weißlich feuchter Fleck. Er scheint sich ganz von alleine immer weiter auszubreiten. Ich lege alle Prospekte auf den Fleck, trete darauf herum und hoffe, dass das Papier die überschüssige Feuchtigkeit aufsaugt, bevor sie in den Fußboden sickert.
Ohne einen Gedanken fassen zu können, schlage ich nun mit den Fäusten immer wieder auf die gleiche Stelle, so lange, bis ich fürchte, verrückt zu werden. Mir fällt nichts mehr ein, außer die Tür abzuschließen. Wie erkläre ich Lollo das mit dem Fleck?
Ich schaue aus dem Fenster, es ist zu hoch. Schlafen wäre das einzigRichtige. Wieder liege ich auf dem Bauch, versinke in der Matratze, schließe die Augen fest, ich muss Zeit gewinnen, ich bin hellwach. Das Bett ist zu weich zum Schlafen, ich bin gefangen in einer tiefen Kuhle. Es wäre ein gutes Bett für eine lange Krankheit.
Unten in der Küche rumpelt und klirrt es, schnelle Schritte sind zu hören.
Am Fenster atme ich tief ein und aus, ein Vogelschwarm fliegt auf mich zu und verschwindet
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