Das Schwert der Keltin
deiner Speerspitze. Und verlier niemals die Erinnerung an jene Zeit, als die Schlange sich noch nicht ins Schwarze wand.«
Es war schon schwer genug für Breaca, sich von der steinernen Speerspitze zu trennen. Sie war ihr Talisman geworden und im Augenblick ihre einzige Waffe. Wenn sie nun auch noch die Brosche hergeben sollte, würde es ihr nahezu unmöglich sein, sich noch an jene Zeit zu erinnern, als der rote Zopf noch neu war und die Liebe, die er symbolisierte, noch jung und unerforscht.
»Denk nach.« Die Großmutter war hinter Breaca getreten und hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt. »Denk an das Meer und an den Jungen, den der Sturm an Land getrieben hatte. Stell dir einen Fluss vor, und noch einen, und noch einen, und noch einen.«
Noch niemals zuvor war es Breaca zum Bewusstsein gekommen, dass sich die schönsten Augenblicke mit Caradoc - zumindest in den ersten Tagen ihrer Liebe - immer irgendwo am Wasser abgespielt hatten. Nun, als man es ihr beinahe einflüsterte, erinnerte sie sich plötzlich ganz deutlich daran. Sie war wieder das junge Mädchen von einst und träumte von einem Orkan, der ein Schiff gegen eine Landzunge schmetterte. Zwischen dem Treibgut lag ein blonder Junge, nur um ein Haar dem nassen Tod entronnen. Und nun schlüpfte auch wieder das Lächeln, mit dem er damals erwacht war, in Breacas Gedächtnis zurück.
Das vom Sturm aufgepeitschte Meer hatte sie beide aufeinander zugetrieben. Im Fluss der Eceni dagegen hätte sie das winterliche Schmelzwasser fast getötet. Lachend tauchte Caradocs Gesicht aus den Wellen auf. Wir können einander nicht retten … ist nicht das Ziel. Dann verschwand er. Mit einer neuen Vision, einer Vision des Frühlings, kehrte er wieder: in trockenen Kleidern und für eine Reise gekleidet. Sein helles Haar war unter einer Kappe verborgen, sein Mantel war von einem glanzlosen Braun. Breaca schenkte ihm zum Abschied die in Silber gegossene Brosche mit dem Schlangenspeer, dem Zeichen ihres Traums. Noch baumelte kein rotes Flechtwerk daran; dieses Gefühl hatte sie sich damals noch nicht eingestehen mögen. Dennoch, Caradoc hatte verstanden, wofür die Brosche stand, hatte sie angenommen und dabei in das Wasser des Flusses gestarrt. Auch Bán war damals noch am Leben gewesen, und auch er hatte verstanden.
Später im Sommer dann, Bán war schon lange tot, baumelte an der Brosche schließlich ein roter Zopf. Plötzlich ertönte auch wieder Caradocs Stimme: » Ich habe noch immer deine Brosche. Was auch immer geschehen mag, sie wird immer ihre Bedeutung für mich behalten.«
Doch nur kurze Zeit später gebar ihm eine andere Frau seine erste Tochter. Dafür hasste Breaca ihn, denn Hass war ein leichter zu kontrollierendes Gefühl als Liebe. Der Herbst jedoch brachte sie einander während einer Schlacht wieder näher. Damals hatten sie sowohl ihre gegenseitige Liebe als auch ihren Hass beigelegt, um einem größeren Ziel zu dienen. Als die Schlacht ihren Höhepunkt erreichte und überall um sie herum Tote lagen, waren es die roten Zöpfe, die Breaca und Caradoc wieder aneinander banden und sie ein Kind zeugen ließen. Der Fluss hatte sein stilles Lied gesungen, während Caradoc und Breaca sich geliebt hatten.
»Damals glaubten wir noch, wir könnten siegen«, sagte Breaca gedankenverloren.
Irgendwo, ganz in ihrer Nähe, erwiderte die Großmutter: »Und ihr könnt noch immer siegen. Es steht noch nichts fest. Die Götter erschaffen ihre Geschöpfe doch nicht, nur um sie wieder zu vernichten.«
»Was müssen wir dafür tun?«
»Wenn du Scapula vernichten könntest, wäre das schon einmal ein recht guter Anfang.«
Nun mischte sich Airmid ein: »Breaca? Könntest du bitte mit mir kommen? Wir müssen zur Rückseite seines Zeltes gelangen. Hier... nimm die Brosche wieder an dich. Verwende sie, um dich auch weiterhin an deine Vergangenheit zu erinnern, denn genau sie wird unser Geschenk für die Träumerin unserer Ahnen sein. Solange du deine Erinnerung lebendig hältst, sind wir geschützt. Jetzt komm. Ich werde dich führen.«
Caradoc war bei ihr. Ein Caradoc des Sommers, ein Caradoc kurz nach Graines Geburt. Damals waren sie gemeinsam, Eltern und Kind, in den von ihren Vorfahren errichteten Steinkreis eingetreten. Hail war jagend vornweg gerannt. Im römischen Lager hingegen war Airmid es, die Breaca einen langen Weg um das Zelt des Statthalters herumführte, vorbei an schlafenden Männern, bis sie schließlich auf der Rückseite anlangten.
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