Das Schwert der Keltin
er zutraute, dass sie auch ihm das Leben retten würden - kurzum Kameraden, die er so gründlich kannte, als wären sie seine Brüder. Alle bis auf zwei dieser Männer waren Gallier. Longinus und die Thraker kämpften unter einem römischen Präfekten, der den Befehl erteilt hatte, ein schwangeres Mädchen zu hängen, ein Präfekt, der vor allen Dingen nicht Corvus war.
In Gedanken hörte Valerius sich selbst sagen: Ich dachte, es würde der Entwicklung meiner Karriere förderlich sein. Und Corvus, gesund und munter und mühelos atmend, erwiderte lachend: Das wird es sicherlich, davon bin ich überzeugt. Keiner von ihnen war damals auf den Gedanken gekommen, dass Valerius eines Tages um seiner Karriere willen gezwungen sein würde, den Flügel zu verlassen, der sein Zuhause war, und damit auch den Mann, der an der Spitze dieses Flügels stand. Und keiner von ihnen hatte es gewollt, bis jetzt.
Beinahe erdrückt von der Stille im Raum, hatte Valerius plötzlich das dringende Bedürfnis, sich hinzusetzen.
Vom Bett her sagte Corvus: »Marcus...?«
Der Tribun zog träge eine Braue hoch und erwiderte lächelnd: »Natürlich. Ich bin draußen, wenn du mich brauchst.«
Die Tür schloss sich, und sie waren plötzlich allein miteinander, ein frisch gebackener Dekurio und der Mann, der nun nicht länger sein Präfekt war.
Neben das Bett war eine Sitzbank gestellt worden. Valerius ließ sich darauf nieder, ohne um Erlaubnis zu fragen, sprang dann - als ihm wieder einfiel, dass ihm das nicht zustand - hastig wieder auf und setzte sich auf Corvus’ Nicken hin abermals.
Schweigen erfüllte den Raum. Was sollte er sagen? Ich habe dich sterben sehen, und wenn meine Welt nicht ohnehin schon in Trümmern gelegen hätte, wäre sie in genau jenem Moment zerbrochen. Aber ich bin nicht mehr länger dazu fähig, Zorn oder Schmerz oder Liebe zu empfinden, sondern kann nur noch um ihren Verlust trauern. Das ist der Fluch der Götter, und der eine Gott ist nicht im Stande, diesen Fluch von mir zu nehmen. Kannst du mir verzeihen? Kann es zwischen uns beiden wieder so sein, wie es früher war, auch wenn wir beide wissen, dass ich nichts empfinden kann?
Es hatte keinen Zweck. Es war nicht nur das beklemmende Bewusstsein, dass der Tribun gleich hinter der Tür wartete, das Valerius daran hinderte, das auszusprechen, was ihm auf dem Herzen lag, sondern auch die Erinnerung an die zwanglose, vertrauliche Art der Anrede, die Corvus gegenüber ebenjenem Tribun gebraucht hatte. Sicherlich würde nur sehr wenigen Menschen außerhalb des engsten Familienkreises das Recht gewährt werden, den Sohn des Statthalters beim Vornamen zu nennen.
Schweigend beugte Valerius sich vor und ergriff Corvus’ schlaffe, kraftlose rechte Hand. Dabei fühlte er ein Zittern durch die Finger des Präfekten laufen, ganz so, als ob Corvus versuchte, seine Muskeln anzuspannen und seine Hand zu bewegen. Im Geiste konnte Valerius bereits sehen, wie die Hand mit der Zeit wieder heilen würde. Das zumindest war gut. Nach einer Weile, als er sich wieder besser unter Kontrolle hatte, blickte er an der Hand vorbei in Corvus’ Gesicht. Was früher einmal wie ein offenes Buch für ihn gewesen war, war nun geschlossen, und es stand nicht mehr in seiner Macht, es zu öffnen. »Warum?«, fragte er.
Er meinte nicht die Beförderung, doch für Corvus war es leichter, seine Frage so zu beantworten, als ob die Beförderung gemeint wäre. »Deine Taten auf dem Schlachtfeld sind nicht unbemerkt geblieben«, erklärte er. »Man hat dein Tun beobachtet und dem Statthalter davon berichtet. Sowohl der Angriff auf den Träumer als auch das Holen der Pferde waren unvergleichlich mutige Taten und ein großes Vorbild für alle Soldaten. Zwar können diese Dinge nicht in dem Bericht an den Kaiser erwähnt werden - es darf nichts darin aufgeführt sein, was die Taten des Tribuns noch in den Schatten stellen würde -, aber man kann sie belohnen.« Corvus’ Blick wurde noch konzentrierter. »Ich wusste gar nicht, dass du eine ganze Schar von Pferden allein mit deiner Stimme lenken und beherrschen kannst.«
»Das kann ich auch nicht. Sie sind Krähe gefolgt. Das Einzige, was ich tun musste, war, sie zu der Barriere zu lotsen, und zwar dorthin, wo die meisten Krieger waren und die wenigsten Soldaten, und dann darauf zu vertrauen, dass sie auch wirklich hinüberspringen würden. Die Eceni würden kein reiterloses Pferd töten. Das ist einfach nicht ihre Art.«
»Aber reiterlose Pferde wären im
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