Das Schwert der Keltin
Geburt ihres Sohns Cunomar waren fast sieben kinderlose Jahre vergangen. Breaca hatte schon geglaubt, keine weiteren Kinder mehr empfangen zu können, und hatte daraufhin in der Pause nach den Kämpfen auch nicht mehr die empfängnisverhütenden Kräuteraufgüsse zu sich genommen. Als dann im Spätwinter die Tatsache ihrer Schwangerschaft klar geworden war, war sie in Panik geraten und hatte Airmid aufgesucht - Heilerin, Träumerin und innig geliebte Freundin -, um sie zu bitten, ihr zu helfen und ihren Zustand wieder rückgängig zu machen.
Airmid hatte gelächelt, was allein schon ein Geschenk war. Im Gegensatz zu den Kriegern hatte sie den Winter über keine Verschnaufpause einlegen können, um sich von den Strapazen der Schlacht zu erholen. Seitdem Scapula in den Eceni-Ländern zahllose Unschuldige niedergemetzelt hatte, hatten die Träumer nach der Vernichtung des Statthalters gestrebt, und zwar mit jedem erdenklichen Mittel, das die Götter ihnen liefern konnten; und der Winter war für sie die geeignete Zeit, um zu ergründen, was dieses Mittel sein könnte.
Breaca war allein zu einem der Steinkreise gegangen, die über die ganze Insel verstreut lagen: riesige Gesteinsbrocken, die, anderswo abgebaut, von den Ahnen über weite Strecken hertransportiert und dann hier aufgerichtet worden waren, um einen Mittelpunkt für ihre Andachten zu bilden und als Stätte der Begegnung mit ihren Göttern zu dienen, damals, in jenen lange zurückliegenden Tagen, als noch das ganze Land Zwiesprache mit den Göttern gehalten hatte. Es hatte geschneit, und der Erdboden war mit einer dünnen weißen Decke überzogen. Der Steinkreis stand allein in einem Tal zwischen zwei flachen Hügeln. Verkümmerte, vom Wind gepeitschte Eichen lehnten sich nach Osten; ihre Äste waren mit Schnee überpudert, der im abendlichen Licht wie grauer Staub anmutete. Ein dicht gedrängtes Grüppchen hochträchtiger Mutterschafe auf der Suche nach Nahrung fand Futter im Windschatten des Kreises.
Airmid stand in der Nähe des westlichen Steines, ihr Gesicht zum Himmel emporgehoben, während sie geistesabwesend zum aufgehenden Mond hinaufstarrte. Nemain, Göttin der Nacht und des Wassers, zeigte ihr Antlitz hier im Westen sehr viel klarer, als sie es jemals in den östlichen Ländern der Eceni getan hatte, wo Breaca und Airmid ihre Kindheit verbracht hatten. Selbst zu dieser frühen Abendstunde, wo die Dunkelheit noch nicht hereingebrochen war, konnte man auf ihrer Oberfläche bereits deutlich den Hasen erkennen, der den Menschen ihren ersten Traum gebracht hatte und seitdem als Bote zwischen der Göttin und ihrem Volk diente. Im silbrigen Licht der Göttin hatte Airmid sich in ein Traumgeschöpf ganz eigener Art verwandelt. Ohnehin schon hoch gewachsen, wirkte sie durch die langen Schatten, die die Steine rechts und links von ihr warfen, noch größer. Weiße Schneeflocken glitzerten wie Sterne in ihrem dunklen Haar, gehalten von dem Birkenrindenband der Träumer, das sie um die Stirn trug. Eine Halskette aus versilberten Froschknochen schimmerte matt an ihrer Kehle - das einzige äußerliche Anzeichen ihres Traums. Ihre Augen waren das Tor zu den wahren Visionen, zu den Botschaften der Götter, die sie empfing und verkündete, um die Menschen zu leiten.
Breaca lehnte sich gegen den nördlichen Stein, während sie darauf wartete, dass die Frau, die sie kannte, wieder zurückkehrte. Sie legte ihre Hände auf die leichte Rundung ihres Bauches, um den Puls des neuen Lebens zu ertasten, das in ihrem Inneren wuchs. Im Geiste formulierte sie die Worte der Entschuldigung an ein halb fertiges Geschöpf, bat es um Verzeihung darum, dass es schon so vorzeitig wieder zu den Göttern eingehen musste. Unter ihrer Berührung begann sich das Kind plötzlich zu regen. In dem vom Atem der Götter erfüllten Rund des Kreises nahm es auf einmal Gestalt an. Ein junges Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenenalter stand in der Lücke zwischen zwei Steinen, die nur einen Augenblick zuvor noch leer gewesen war. Sie sah nicht so aus, wie Breaca sie sich vorgestellt hätte: Man hätte nicht meinen sollen, dass aus der Vereinigung zweier so groß gewachsener Elternteile ein so schmales und zierliches Kind hervorgehen könnte, oder dass das Haar des Mädchens so dunkel sein würde, von der satten Farbe von Ochsenblut, während der Vater doch weizenblond war und das Haar der Mutter so kupferrot wie das Fell eines Fuchses im Winter. Das Mädchen stand in den Schneeverwehungen,
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