Das Schwert der Koenigin
Verzweiflung schwand, und an ihre Stelle trat Zorn. »Wir sind noch nicht am Ende«, knurrte er. »Vielleicht sind es Berittene, die sich überlisten lassen. Karia, hat die Krähe dir verraten, welche Fahne sie führen?«
Karia, die über die Erfrischungen hergefallen war, hielt schuldbewusst inne.
»Es war eine ganz komische. Ein goldenes Pferd über irgendeiner Pflanze, auf grünem Hintergrund.«
Martil ließ Merren los und starrte Karia schockiert an.
»Ist das nicht gut? Gewiss bedeutet ein Pferd, dass es Berittene sind?«, fragte Merren.
Aber Martil hatte nach einer Feder gegriffen und kritzelte hastig eine Skizze auf die Karte auf dem Tisch.
»Sah sie so aus? Die Fahne?«, wollte er wissen.
Karia betrachtete die Zeichnung kritisch. »Ich denke, ja«, stimmte sie schließlich zu. »Weißt du, Krähen sind nicht so gut darin, Dinge zu beschreiben.«
Martil drehte sich zu Merren um, einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht.
»Was ist los?«, verlangte sie zu erfahren.
»Das ist die Flagge meines Regiments«, antwortete er langsam und ungläubig. »Das Pferd über einer Weizengarbe. Ein Hinweis auf meine bäuerliche Herkunft. Ich wollte ein Schaf, denn wir hatten eine Schafzucht, aber meine Freunde sagten mir, dass niemand unter dem Banner eines Schafs kämpfen würde.«
»Euer Banner? Was bedeutet das?«, fragte Merren.
Martil hob Karia hoch, die sich gerade rechtzeitig noch ein Haferplätzchen schnappte, damit sie weiteressen konnte.
»Lasst uns gehen, um es herauszufinden«, sagte er.
Barrett bestätigte das Aussehen der Flagge, und die Nachricht verbreitete sich schnell. Die Verzweiflung, die die Stadt ergriffen hatte, verwandelte sich in Staunen, und alle drängten sich auf den Mauern zusammen, um zu beobachten, wie die beeindruckende Armee von Männern in Sicht kam.
Sie blieb knapp außerhalb der Reichweite der Bogenschützen stehen. Eine Gruppe von etwa zwanzig Männern saß ab und ging dann mit der Regimentsfahne und einer Waffenstillstandsflagge weiter. Martil ritt ihnen auf Tomon entgegen, zusammen mit einem Dutzend Männern in Rüstung. Merren, Pater Quiller, Barrett und Karia blieben in der Sicherheit des Tores, während über ihnen Tarik und seine Bogenschützen mit gespannten Pfeilen warteten. Aber das war nicht notwendig.
Sobald Martil Tomon zügelte, nahmen die Männer ihre Helme ab und ließen sich alle gleichzeitig auf ein Knie fallen.
»Wachtmeister Nerrin!«, rief Martil, sprang aus dem Sattel und schritt auf den lächelnden Rallorer zu.
»Ja, Hauptmann?«
»Wachtmeister, ich will nicht leugnen, dass du ein wahrhaft willkommener Anblick bist, aber was tust du hier?« Martil schaute hinüber und erkannte die Männer, die bei Nerrin knieten – es waren die Karawanenwache, die er vor einem Kampf mit Rocus bewahrt hatte, und die Wachen, die er in Wollin und im Goldenen Tor kennengelernt hatte. Er fing Korporal Kesburys Blick auf, der ihm zuzwinkerte. »Ich dachte, ich hätte euch weggeschickt.«
»Herr, Ihr habt mir befohlen, mich von der letzten Schlacht fernzuhalten. Wir haben diesem Befehl gehorcht, aber wir konnten nicht zulassen, dass Hauptmann Martil allein kämpft. Wir sind Euch nach Berellia gefolgt, wir werden Euch überallhin folgen.«
»Aber woher habt ihr …«
»Wir haben die Nachricht verbreitet, und die Männer sind von überall hergekommen. Sagen wir einfach, es wird in den nächsten Monaten schwierig sein, Karawanenwachen einzustellen oder Schlägereien in Tavernen zu verhindern. Die Barden erzählen den Menschen nur das, was Gello sie wissen lassen will, aber wir haben gesehen, was Herzog Gello mit dem Rest des Landes anstellt. Wir wissen, dass er kein Freund der Rallorer ist, und wir wollten die Königin sehen, deren Streiter du bist. Wir wollten außerdem …« Nerrin hielt für einen Moment inne, bevor er Martil in die Augen sah.
»Herr, Ihr müsst es ebenfalls spüren. Seit Bellic ist alles aus den Fugen geraten. Wir trinken zu viel, wir können vor lauter Albträumen nicht schlafen. Wir haben unser Land gerettet, und doch sind wir hier, bewachen Karawanen für reiche Kaufleute, die uns verachten, oder werfen am Ende der Nacht betrunkene Norstaliner aus Tavernen. Herr, Ihr werdet uns nicht in den Tod schicken; unser Leben war bereits nach Bellic beendet. Ihr werdet uns eine zweite Chance auf ein Leben geben – um einer Königin zu dienen, die versucht, ihren Thron zu retten …«
Martil konnte es nicht länger ertragen, Nerrins Blick standzuhalten.
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