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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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mich die Regel der Hexer und die Erziehung. Dressur.«
    »Red nicht so«, sträubte sie sich. »Ich verstehe nicht, warum du versuchst ...«
    »Essi«, unterbrach er sie abermals. »Ich will nicht, dass du dir von mir ein falsches Bild machst. Ich bin kein fahrender Ritter.«
    »Ein kalter und gedankenloser Mörder bist du auch nicht.«
    »Nein«, stimmte er ruhig zu. »Das bin ich nicht, obwohl es Leute gibt, die das denken. Aber es sind nicht meine Empfindsamkeit und meine anderen Charakterzüge, die mich höher stellen, sondern Stolz und Arroganz des Fachmanns, der von seinem Wert überzeugt ist. Des Profis, dem eingeimpft worden ist, dass sein Berufskodex und die kalte Routine verlässlicher als Gefühle sind, dass sie ihn vor den Fehlern bewahren, die er begehen könnte, wenn er sich auf das Dilemma von Gut und Böse, von Ordnung und Chaos einlässt. Nein, Essi. Nicht ich bin empfindsam, sondern du. Das erfordert übrigens dein Beruf, nicht wahr? Du warst es, die bei dem Gedanken unruhig wurde, dass die scheinbar sympathische Sirene, gekränkt, in einem verzweifelten Racheakt die Perlenfischer angegriffen hat. Sogleich suchst du für die Sirene Rechtfertigungen, mildernde Umstände, erzitterst bei dem Gedanken, der vom Fürsten bezahlte Hexer könnte die hübsche Sirene nur dafür ermorden, dass sie es gewagt hat, sich ihren Gefühlen hinzugeben. Doch der Hexer, Essi, ist frei von dergleichen Dilemmata. Und von Gefühlen. Sogar wenn sich herausstellen sollte, dass es die Sirene war, wird der Hexer sie nicht töten, denn der Kodex verbietet es ihm. Der Kodex löst für den Hexer das Dilemma.«
    Äuglein schaute ihn an, warf ruckartig den Kopf zurück.
    »Jedes Dilemma?«, fragte sie rasch.
    Sie weiß von Yennefer, dachte er. Sie weiß von ihr. Ach, Rittersporn, du verdammter Schwätzer ...
    Sie sahen einander an.
    Was verbirgt sich in deinen blauen Augen, Essi? Neugier? Fasziniertheit vom Anderssein? Was sind die Schattenseiten deines Talents, Äuglein?
    »Entschuldige«, sagte sie. »Die Frage war dumm. Und naiv. Sie unterstellte, ich hätte geglaubt, was du sagtest. Lass uns umkehren. Dieser Wind dringt einem durch Mark und Bein. Schau, wie das Meer schäumt ...«
    »Ich sehe. Weißt du, Essi, das ist merkwürdig ...«
    »Was ist merkwürdig?«
    »Ich hätte meinen Kopf verwettet, dass der Felsbrocken, auf dem sich Agloval mit der Sirene trifft, näher am Ufer und größer ist. Aber jetzt ist er nicht zu sehen.«
    »Die Flut«, sagte Essi kurz. »Bald wird das Wasser bis dort zum Uferbruch reichen.«
    »So weit?«
    »Ja. Das Wasser steigt und fällt hier sehr stark, über zehn Ellen, denn hier, in der Meerenge und der Flussmündung, treten sogenannte Wellenechos auf, oder wie die Schiffer das auch nennen mögen.«
    Geralt blickte zum Vorgebirge hin, zu den Drachenhauern, die in tosende, schäumende Brandung gehüllt waren.
    »Essi«, fragte er. »Und wann beginnt die Ebbe?«
    »Was meinst du?«
    »Wie weit weicht das Meer zurück?«
    »Und was ... Ach, ich verstehe. Ja, du hast recht. Es weicht bis zur Schelflinie zurück.«
    »Zu welcher Linie?«
    »Na, die des Plateaus, das der Grund des Flachwassers bildet und das am Rande steil in die Tiefe abfällt.«
    »Und die Drachenhauer ...«
    »Sind genau an dem Rande.«
    »Und trockenen Fußes zu erreichen. Wie viel Zeit hätte ich?«
    »Ich weiß nicht.« Äuglein runzelte die Stirn. »Man müsste die Einheimischen fragen. Aber ich glaube nicht, Geralt, dass das ein besonders guter Gedanke wäre. Schau, zwischen dem Land und den Hauern sind Felsen, das ganze Ufer ist von Fjorden und Rinnen durchzogen. Wenn die Ebbe beginnt, bilden sich dort Strudel, Kessel, in denen das Wasser steht. Ich weiß nicht, ob ...«
    Vom Meer her, von den kaum sichtbaren Felsen drang ein Plätschern zu ihnen. Und ein lauter, melodischer Schrei.
    »Weißhaariger!«, rief die Sirene, während sie graziös auf dem Wellenkamm ritt und das Wasser mit kurzen, eleganten Schwanzschlägen peitschte.
    »Sh’eenaz!«, rief er zurück und winkte.
    Die Sirene kam zu den Felsen geschwommen, blieb senkrecht im gischtbedeckten grünen Wasser hängen, warf mit beiden Händen die Haare zurück und bot gleichzeitig den Oberkörper mit all seinen Reizen dar. Geralt warf einen Blick auf Essi. Das Mädchen war leicht errötet und schaute mit bedauerndem und geniertem Ausdruck einen Moment lang auf die eigenen Reize, die sich unter dem Kleid kaum abzeichneten.
    »Wo ist meiner?«, sang die Sirene und schwamm

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