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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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näher heran. »Er sollte doch da sein.«
    »Er war da. Er hat drei Stunden gewartet und ist gegangen.«
    »Gegangen?«, wunderte sich die Sh’eenaz mit hohem Trillern. »Er hat nicht gewartet? Hat es keine lumpigen drei Stunden ausgehalten? Das hab ich mir gedacht. Kein bisschen Opferbereitschaft! Kein bisschen! Widerwärtig, widerwärtig, widerwärtig! Und was machst du hier, Weißhaariger? Bist du mit deiner Geliebten spazieren gegangen? Ein hübsches Paar seid ihr, nur die Beine verunstalten euch.«
    »Das ist nicht meine Geliebte. Wir kennen einander kaum.«
    »So?«, wunderte sich Sh’eenaz. »Schade. Ihr passt zusammen, seht schön miteinander aus. Wer ist das?«
    »Ich bin Essi Daven, die Dichterin«, sang Äuglein mit einem Akzent und einer Melodie, gegen die die Stimme des Hexers wie das Krächzen eines Raben klang. »Ich freue mich, dich kennenzulernen, Sh’eenaz.«
    Die Sirene klatschte mit den Händen aufs Wasser, lachte laut.
    »Wie schön!«, rief sie. »Du kennst unsere Sprache! Mein Wort, ihr überrascht mich, ihr Menschen. Wirklich, uns trennt gar nicht so viel, wie es immer heißt.«
    Der Hexer war nicht weniger überrascht als die Sirene, obwohl er sich hätte denken können, dass die gebildete und belesene Essi die Ältere Rede besser als er beherrschte, die Sprache der Elfen, deren gesungene Version von Sirenen, Meerfrauen und Nereiden benutzt wurde. Ihm musste auch klar sein, dass die komplizierte Melodik der Sirenensprache, die es ihm schwerer machte, für Äuglein eine Erleichterung war.
    »Sh’eenaz!«, rief er. »Ein wenig trennt uns doch, und was uns manchmal trennt, ist oft vergossenes Blut! Wer ... Wer hat die Perlenfischer umgebracht, dort, bei den beiden Felsen? Sag es mir!«
    Die Sirene tauchte ab, dass das Wasser brodelte. Einen Augenblick später schoss sie wieder an die Oberfläche, und ihr hübsches Gesichtchen war zu einer hässlichen Grimasse verzerrt.
    »Wagt es nicht!«, schrie sie durchdringend. »Wagt es nicht, euch der 
Treppe
 zu nähern! Das ist nichts für euch! Legt euch nicht mit ihnen an! Das ist nichts für euch!«
    »Was? Was ist nichts für uns?«
    »Nichts für euch!«, brüllte Sh’eenaz und warf sich der Länge nach in eine Woge.
    Die Wasserspritzer flogen hoch empor. Einen Augenblick lang sahen sie noch ihren Schwanz, die geteilte Flosse, die in den Wellen wirbelte. Dann verschwand sie in der Tiefe.
    Äuglein strich sich die Haare zurecht, die ein Windstoß aufgelöst hatte. Sie stand reglos da, den Kopf gesenkt.
    »Ich habe nicht gewusst« – Geralt räusperte sich –, »dass du die Ältere Rede so gut beherrschst, Essi.«
    »Du konntest es nicht wissen«, sagte sie mit unüberhörbarer Bitterkeit in der Stimme. »Denn ... Denn du kennst mich ja kaum.«

VI
    »Geralt«, sagte Rittersporn, während er sich umschaute und wie ein Jagdhund schnüffelte. »Hier stinkt es fürchterlich, findest du nicht?«
    »Was weiß denn ich?« Der Hexer zog Luft durch die Nase. »Ich bin an Stellen gewesen, wo es schlimmer gestunken hat. Das ist nur der Geruch des Meeres.«
    Der Barde wandte den Kopf ab und spuckte zwischen die Felsbrocken. Das Wasser gluckerte in den steinernen Spalten, schäumte und rauschte, gab von den Wellen glattgespülte Kiesschluchten frei.
    »Sieh nur, wie schön trocken es geworden ist, Geralt. Wo ist das Wasser hingeraten? Wie ist das, zum Teufel, mit dieser Ebbe und Flut? Wo kommen die her? Hast du nie darüber nachgedacht?«
    »Nein. Ich hatte andere Sorgen.«
    »Ich denke« – Rittersporn ging leicht in die Knie –, »dass dort in der Tiefe, ganz am Grunde dieses verdammten Ozeans ein riesiges Ungeheuer sitzt, ein dickes, schuppiges Scheusal, ein Wundertier mit Hörnern auf dem hässlichen Kopf. Und von Zeit zu Zeit zieht es Wasser in den Bauch, und mit dem Wasser alles, was lebt und sich fressen lässt – Fische, Robben, Schildkröten, alles. Und dann, wenn es die Beute verschlungen hat, spuckt es das Wasser aus, und wir haben Flut. Was meinst du, Geralt?«
    »Ich meine, dass du dumm bist. Yennefer hat mir einmal gesagt, dass die Gezeiten vom Mond verursacht werden.«
    »Was für ein verdammter Quatsch! Was hat der Mond mit dem Meer zu tun? Den Mond heulen nur die Hunde an. Sie hat dich angeführt, Geralt, deine Lügnerin, hat sich mit dir einen Spaß gemacht. Soviel ich weiß, nicht zum ersten Mal.«
    Der Hexer enthielt sich eines Kommentars. Er blickte auf die vor Feuchtigkeit glänzenden Steine in den Schluchten, die von der Ebbe

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