Das Schwert der Vorsehung
genügen unsere Hexerfähigkeiten nicht. Diese Wesen sind für uns entweder zu groß oder zu gut gepanzert oder zu sicher in ihrem Element. Oder alles zugleich.«
»Und das Ungeheuer, das die Perlenfischer umgebracht hat? Hast du keine Vorstellung, was das war?«
»Vielleicht ein Krake?«
»Nein. Ein Krake hätte das Boot zertrümmert, aber das Boot war heil. Und, wie es heißt, voller Blut.« Äuglein schluckte und erbleichte sichtlich. »Glaub nicht, dass ich klug daherschwätze. Ich bin am Meer aufgewachsen und habe so einiges gesehen.«
»Was also kann es gewesen sein? Ein großer Tintenfisch? Er kann diese Menschen aus dem Boot gezerrt haben ...«
»Dann gäbe es kein Blut. Das war kein Tintenfisch, Geralt, kein Schwertwal, keine Drachenschildkröte, denn dieses Etwas hat das Boot nicht zertrümmert, nicht umgekippt. Dieses Etwas ist ins Boot gekommen und hat dort ein Massaker angerichtet. Vielleicht machst du einen Fehler, wenn du es im Meer suchst?«
Der Hexer stutzte.
»Ich beginne dich zu bewundern, Essi«, sagte er. Die Dichterin errötete. »Du hast recht. Es kann aus der Luft angegriffen haben. Es kann eine Ornithodraco gewesen sein, ein Greif, ein Wyvern, ein Flatterer oder ein Gabelschwanz. Vielleicht sogar ein Rokh ...«
»Entschuldige«, sagte Essi. »Schau, wer da kommt.«
Am Ufer kam Agloval auf sie zu, allein, mit stark durchnässter Kleidung. Er war sichtlich erbost, und bei ihrem Anblick lief er vor Wut rot an.
Essi machte einen leichten Knicks, Geralt senkte den Kopf und legte die Hand auf die Brust. Agloval spuckte aus.
»Ich habe drei Stunden auf den Felsen gesessen, fast seit dem Morgengrauen«, knurrte er. »Sie hat sich nicht einmal blicken lassen. Drei Stunden habe ich wie ein Idiot auf den Felsen gesessen und mich von den Wellen überspülen lassen.«
»Tut mir leid ...«, murmelte der Hexer.
»Es tut dir leid?«, explodierte der Fürst. »Leid tut’s dir? Es ist deine Schuld. Du hast es vermasselt. Hast alles verdorben.«
»Was habe ich verdorben? Ich habe als Dolmetscher gearbeitet ...«
»Zum Teufel mit solcher Arbeit«, unterbrach ihn Agloval zornig und wandte den Kopf zur Seite. Sein Profil war wahrhaft königlich, würdig, auf Münzen geprägt zu werden. »Wirklich, es wäre besser gewesen, wenn ich dich nicht angestellt hätte. Es klingt paradox, aber solange wir keinen Dolmetscher hatten, haben wir uns besser verstanden, ich und Sh’eenaz, wenn du weißt, was ich meine. Aber jetzt ... Weißt du, was sie in der Stadt reden? Sie flüstern, die Perlenfischer seien umgekommen, weil ich die Sirene erzürnt hätte. Das sei ihre Rache.«
»Unsinn«, kommentierte der Hexer kalt.
»Woher willst du wissen, dass das Unsinn ist?«, knurrte der Fürst. »Oder weiß ich denn, was du ihr gestern erzählt hast? Woher weiß ich denn, wozu sie imstande ist? Mit welchen Ungeheuern sie da in der Tiefe zusammensteckt? Bitte sehr, beweis mir, dass das Unsinn ist. Bring mir den Kopf des Ungeheuers, das die Fischer umgebracht hat. Mach dich an die Arbeit, statt am Strand herumzuflirten ...«
»An die Arbeit?«, erwiderte Geralt gereizt. »Wie? Soll ich auf einem Fass reitend rausschwimmen? Dein Zelest hat den Schiffern mit Folter und Galgen gedroht, trotzdem will niemand. Zelest selber ist auch nicht scharf drauf. Wie also ...«
»Was kümmert mich das?«, fiel ihm Agloval brüllend ins Wort. »Das ist deine Sache! Wozu sind denn Hexer da, wenn nicht dazu, dass sich anständige Leute nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen, wie sie die Ungeheuer loswerden? Ich habe dich für diese Arbeit angestellt und verlange, dass du sie ausführst. Und wenn nicht, dann scher dich davon, denn sonst lass ich dich bis an die Grenzen meines Gebiets peitschen!«
»Beruhigt Euch, Herr Fürst«, sagte Äuglein leise, doch ihre Blässe und das Zittern ihrer Hände verrieten Unmut. »Und ich bitte sehr, droht Geralt nicht. Wie es sich so ergibt, haben Rittersporn und ich ein paar Freunde. König Ethain von Cidaris, um nur einen zu nennen, hat uns und unsere Balladen sehr gern. König Ethain ist ein aufgeklärter Herrscher und sagt immer, dass unsere Balladen nicht nur Musik zum Tanzen und Reime sind, sondern ein Mittel zur Weitergabe von Information, dass sie eine Chronik der Menschheit sind. Möchtet Ihr, Herr Fürst, Euch in die Chronik der Menschheit einschreiben? Dafür kann ich sorgen.«
Agloval schaute sie einen Moment lang mit kaltem, abfälligem Blick an.
»Die Fischer, die umgekommen sind,
Weitere Kostenlose Bücher