Das Schwert der Vorsehung
stieß mit Tritten die frechsten Krebse weg, betrachtete und betastete die triefenden Felsen, an denen Bärte von Algen hingen und raue Kolonien von Schalentieren und Muscheln saßen.
»He, Geralt!«
»Was ist?«
»Sieh dir diese Muscheln an. Das sind Perlmuscheln, nicht wahr?«
»Nein.«
»Du kennst dich damit aus?«
»Nein.«
»Dann halt dich mit deiner Meinung zurück, bis du dich auskennst. Das sind Perlmuscheln, ich bin sicher. Gleich werde ich Perlen sammeln, so bringt dieser Ausflug doch etwas Gutes, nicht nur Schnupfen. Soll ich sammeln, Geralt?«
»Sammle. Das Ungeheuer greift Perlenfischer an. Sammler fallen auch in diese Kategorie.«
»Soll ich der Köder sein?!«
»Sammle, sammle. Nimm die größeren Muscheln, wenn keine Perlen drin sind, machen wir uns eine Suppe davon.«
»Das fehlte noch. Ich werde nur die Perlen nehmen, der Rest kann mir gestohlen bleiben. Verdammt ... So ein Mist ... Wie soll ich ... verflucht ... das aufkriegen? Hast du vielleicht ein Messer, Geralt?«
»Du hast nicht einmal ein Messer mitgenommen?«
»Ich bin Dichter, nicht irgendein Messerstecher. Ach, zum Kuckuck, ich nehm das Zeug in den Ranzen, und die Perlen holen wir später raus. Heda! Scher dich weg!«
Ein Fußtritt beförderte den Krebs über Geralts Kopf hinweg und ließ ihn in die Wellen platschen. Der Hexer ging langsam am Rande der Platte entlang, den Blick auf das schwarze, undurchdringliche Wasser gerichtet. Er hörte das rhythmische Klopfen des Steins, mit dem Rittersporn die Muscheln von der Felswand abschlug.
»Rittersporn! Komm her, sieh nur!«
Die schartige, rissige Platte endete plötzlich mit einem gleichmäßigen, scharfen Rand, der rechtwinklig nach unten abfiel. Unter der Wasserfläche waren deutlich riesige, kantige, regelmäßig geformte Blöcke aus weißem Marmor zu sehen, von Wassermoos, Weichtieren und Seepocken bewachsen, die sich im Wasser wiegten wie Blumen im Winde.
»Was ist das? Es sieht aus wie ... Wie eine Treppe.«
»Weil es eine Treppe ist«, flüsterte Rittersporn staunend. »Oh, das ist die Treppe, die in die Unterwasserstadt führt. In das legendäre Ys, das die Wellen verschlungen haben. Hast du die Legende von der Stadt der Tiefe gehört, von Ys Unter Den Wassern? Oh, darüber werde ich eine Ballade schreiben, so eine, dass der Konkurrenz die Augen übergehen. Ich muss mir das aus der Nähe ansehen ... Schau, da ist so was wie ein Mosaik, irgendwas Eingeritztes oder Eingelegtes ... Eine Schrift? Geh mal beiseite, Geralt.«
»Rittersporn! Dort ist es tief! Du rutschst ab ...«
»Und wenn schon. Ich bin sowieso nass. Schau, hier ist es flach, grade mal bis zum Gürtel, auf der ersten Stufe. Und breit wie ein Ballsaal. Oh verdammt ...«
Geralt sprang blitzschnell ins Wasser und stützte den Barden, der bis zum Halse eingetaucht war.
»Ich bin über diesem Mist gestolpert.« Rittersporn schüttelte sich nach Luft schnappend und hielt mit beiden Händen eine große wassertriefende, flache Muschel mit einer Schale von kobaltblauer Farbe hoch, auf der Büschel von Wassermoos wuchsen. »Davon gibt’s ’ne Menge auf dieser Treppe. Eine schöne Farbe, findest du nicht? Komm, ich steck sie dir in den Ranzen, meiner ist schon voll.«
»Steig hier raus«, knurrte der Hexer erbost. »Steig sofort auf die Platte, Rittersporn. Das ist kein Spiel.«
»Still. Hast du gehört? Was war das?«
Geralt hörte es. Der Klang kam von unten, aus dem Wasser. Tief und dumpf, doch zugleich schwach, leise, kurz, abgehackt. Der Klang einer Glocke.
»Eine Glocke, verdammt will ich sein«, flüsterte Rittersporn, während er sich auf die Platte hievte. »Ich hatte recht, Geralt. Das ist die Glocke des versunkenen Ys, die Glocke der Vampirstadt unter der Last der Tiefe. So erinnern uns die Ertrunkenen ...«
»Wirst du endlich den Mund halten?«
Der Ton wiederholte sich. Wesentlich näher.
». .. erinnern uns«, fuhr der Barde fort, während er die durchnässten Enden des Wamses ausdrückte, »an ihr schreckliches Los. Diese Glocke ist eine Warnung ...«
Der Hexer hörte auf, Rittersporns Stimme zu beachten, und stellte sich auf andere Gedanken ein. Er fühlte es. Das war etwas.
»Es ist eine Warnung.« Rittersporn streckte die Zunge ein Stück heraus, wie er es immer tat, wenn er sich konzentrierte. »Zur Warnung uns, dieweil ... hm ... Damit wir nicht vergessen ... hm ... hmmm ... Ich hab’s!
Der Glocke Herz klingt dumpf und singt ein Lied vom Tode,
Vom Tod, der leichter wiegt, denn
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