Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
und anderen wichtigen Arbeiten fertig werden, solange sie noch die Möglichkeit dazu hatten.
Obwohl Pferde, Wagen und Menschen einen nicht zu überhörenden Lärm verursachten, bekam Nicci kaum etwas davon mit, denn sie war in Gedanken bei der Hexe.
Ihr war nämlich eingefallen, dass Shota dem Lord Rahl ihre Hilfe womöglich nicht nur verweigern, sondern ihm dies obendrein verschweigen könnte. Hexen hatten ihren ganz eigenen Stil und ihre eigenen Ziele.
Wenn sie Richard als zu hartnäckig oder anmaßend empfand, konnte sie durchaus auf die Idee verfallen, sich seiner zu entledigen, indem sie ihn auf eine sinnlose Suche um die ganze Welt schickte – sei es, um sich einen Spaß zu erlauben, oder weil sie ihn zu einem qualvollen Tod auf einem endlosen Marsch durch irgendeine ferne Wüste verdammen wollte, Dinge, die eine Hexe womöglich nur deswegen tat, weil sie halt in ihrer Macht standen. In seiner bedingungslosen Entschlossenheit, diese Fantasiefrau zu finden, würde Richard vermutlich gar nicht auf die Idee kommen, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, sondern sofort einfach in die Richtung losmarschieren, die Shota ihm vorgab.
Nicci war wütend auf sich selbst, weil sie ihn hatte ziehen lassen, um eine so gefährliche Frau aufzusuchen. Nur, was hätte sie tun sollen? Sie konnte es ihm schließlich nicht verbieten.
Sie sah den Mann, den sie losgeschickt hatte, den Backsteinbau zu untersuchen, sich immer wieder ausweichend einen Weg zwischen den Wagen und Pferden hindurchbahnen und mit schnellen Schritten die Straße überqueren. Dabei fiel ihr auf, dass es trotz der ungeheuren Menschenmassen, die die Straßen der Stadt bevölkerten, spürbar weniger geschäftig zuging als an einem normalen Tag. Überall waren Leute damit beschäftigt, Vorkehrungen zu treffen, nicht wenige hatten sich bereits an vermeintlich sicheren Orten verbarrikadiert. Nicci hatte den Überfall der Truppen der Imperialen Ordnung auf eine Stadt schon am eigenen Leibe erlebt, deshalb wusste sie, dass es so etwas wie einen sicheren Ort gar nicht gab.
Mit einem Seitensprung brachte sich der Mann vor einem vorüberholpernden Karren in Sicherheit, dann war er endlich wieder bei Nicci angelangt. Er blieb stehen und wartete schweigend, offenbar hatte er Angst, etwas zu sagen, ehe sie ihn aufgefordert hatte zu berichten. Es war nicht zu übersehen, dass er Angst vor ihr hatte; alle fürchteten sich vor ihr, denn sie war nicht nur eine Hexenmeisterin, sie war oft eine überaus schlecht gelaunte Hexenmeisterin, und jeder wusste das.
»Nun?«, erkundigte sie sich ruhig bei dem Mann, der schweigend vor ihr stand und wieder zu Atem zu kommen versuchte.
»Es wird funktionieren. In dem Haus werden Strickwaren und Stoffe hergestellt. Die drei Stockwerke sind innen so gut wie gar nicht unterteilt, sodass die Bogenschützen sich schnell und mühelos von Fenster zu Fenster bewegen können, um die beste Schussposition zu finden.«
Ein kurzes Nicken, dann warf sie, ihre Augen mit vorgehaltener Hand gegen die tief stehende Sonne schützend, einen Blick die breite Hauptstraße entlang zurück nach Westen, um die Lage der Straßen und ihre Kreuzungswinkel zu begutachten. Zu guter Letzt entschied sie, dass die Kreuzung, auf der sie standen, unmittelbar gegenüber dem Ziegelgebäude, die günstigste Stelle war. Die beiden Hauptdurchgangsstraßen waren so breit, dass die Wahl der feindlichen Kavallerie im Ostteil der Stadt vermutlich auf sie fallen würde. Sie wusste, wie die Imperiale Ordnung ihre Angriffe durchführte, breite Straßen waren beliebt, weil sie sich dort auf breiter Front präsentieren und einen überaus harten Angriffsschlag führen konnten, der die gegnerischen Reihen auseinander riss. Nicci war sich einigermaßen sicher, dass sie im Falle eines Angriffs aus östlicher Richtung, von dem sie ausging, ihre Kavallerie auf diesem Weg anrücken lassen würde.
»Gut«, antwortete sie. »Seht zu, dass Ihr die Bogenschützen herschafft, und dazu einen großen Vorrat an Pfeilen. Und beeilt Euch – ich glaube kaum, dass uns noch viel Zeit bleibt.«
Während er loslief, um sich darum zu kümmern, erblickte sie in einiger Entfernung Ishaq, der in einem von zweien seiner stämmigen Zugpferde gezogenen Wagen die Straße heraufgeholpert kam. Er schien es sehr eilig zu haben. Sie hatte eine ziemlich klare Vorstellung, warum er zu ihr wollte, versuchte aber, nicht daran zu denken, sondern wandte sich stattdessen zu einem der anderen Männer in ihrer
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