Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
unstillbaren Verlangens ausgelöst wurde, das er bislang weder hatte identifizieren noch isolieren können. Soweit er hatte beobachten können, war in jeder Situation ein dem Wesen nach ganz charakteristisches Verlangen nötig, um seine Kraft auszulösen.
Noch während er so durch das Gehölz hastete, senkte sich unerwartet Stille über den Wald. Nach und nach verstummten die hallenden Schreie, und die dunstige grüne Wildnis war wieder dem gedämpften Flüstern des sanften Regens überlassen, der durch das üppige Blattwerk fiel. Umgeben von einer scheinbar friedlichen und nun auch wieder stillen Welt, kam es ihm fast so vor, als hätte er sich die entsetzlichen Geräusche nur eingebildet.
Trotz seiner Erschöpfung ließ Richard in seinem Tempo nicht nach und lauschte im Laufen auf irgendein Lebenszeichen der Männer, aber sein eigener angestrengter Atem, der Puls in seinen Ohren und seine hastig dahineilenden Tritte überlagerten fast jedes andere Geräusch. Aus irgendeinem Grund erschien ihm die gespenstische Stille beängstigender als zuvor das Geschrei. Was anfangs wie die Raben geklungen hatte – ein heiseres Krächzen, das zu einer Art angsterfülltem Gekreisch anschwoll, wie ein Tier es nur im Augenblick seines gewaltsamen Todes von sich gibt -, war irgendwann in menschliche Laute umgeschlagen, bis schließlich außer der bedrohlichen Stille nichts mehr zu hören war.
Richard versuchte, sich einzureden, dass er sich die Verwandlung der Schreie in menschliche Laute nur eingebildet habe. So schauderhaft das Gekreisch auch geklungen haben mochte, die bedrückende, unnatürliche, erst nach seinem Verklingen einsetzende Stille war es, bei der ihn eine prickelnde Gänsehaut überlief und sich ihm die Nackenhaare sträubten.
Unmittelbar vor Erreichen des Randes der Lichtung zog Richard endlich sein Schwert. Das unverwechselbare Geräusch beim Ziehen der Klinge hallte mit schneidendem Klirren durch den Wald und zerriss die Stille.
Augenblicklich schoss der Zorn des Schwertes heiß durch jede Faser seines Körpers, um in gleicher Weise von seinem ureigenen Zorn erwidert zu werden. Wieder einmal überließ sich Richard seinen wohl vertrauten magischen Kräften, auf die er voll und ganz vertraute.
Erfüllt von der Kraft des Schwertes, brannte er darauf, endlich die Ursache der Gefahr zu sehen, dürstete es ihn danach, ihr ein Ende zu bereiten.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich aus Angst und Unsicherheit dem hochschießenden, von der uralten, von Zauberern geschaffenen Klinge ausgelösten Gewaltausbruch nur widerstrebend hingegeben, hatte er gezögert, der Aufforderung mit seinem ureigenen Zorn zu entsprechen, doch mittlerweile hatte er gelernt, sich von dem Begeisterungssturm des Zorns mitreißen zu lassen. Diese Kraft war es, die er auf sein Ziel richtete.
In der Vergangenheit hatte es immer wieder Personen gegeben, die ein heftiges Verlangen nach der Kraft des Schwertes verspürt hatten, die aber in ihrer blinden Gier nach etwas, das eigentlich anderen gehörte, die geheimnisvolleren, durch den Gebrauch einer solchen Waffe heraufbeschworenen Gefahren nicht erkannt hatten. Statt zum Herrscher über die Magie waren sie zu Sklaven der Klinge geworden, Sklaven ihres eigenen Zorns und ihrer habsüchtigen Gier. Wieder andere hatten sich der magischen Kraft dieser Waffe zu unheilvollen Zwecken bedient. Die Klinge selbst traf daran keine Schuld. Der Gebrauch des Schwertes, im Guten wie im Schlechten, war stets der bewussten Entscheidung dessen unterworfen, der sie führte, alle Verantwortung lag bei ihm.
Am Rand jener Lichtung, wo wenige Tage zuvor bei dem Überfall die Soldaten ums Leben gekommen waren, hielt Richard inne. Das Schwert in der Hand, sog er – trotz des allgegenwärtigen Verwesungsgestanks – die Luft tief in seine Lungen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Als er die Augen über den bizarren Anblick schweifen ließ, der sich ihm bot, hatte er zunächst Schwierigkeiten, überhaupt zu begreifen, was er da sah.
Der Boden war bedeckt mit toten Raben, aber sie waren nicht bloß tot, sie waren in Stücke gerissen. Die Lichtung war mit Flügeln, Köpfen und anderen Kadaverteilen übersät. Tausende Federn hatten sich, gleich einer Decke aus schwarzem Schnee, über die verwesenden Soldatenleichen gelegt.
Der Schock lähmte ihn nur kurz. Noch immer außer Atem, erkannte Richard, dass dies nicht der Ort war, den er gesucht hatte. Mit eiligen Schritten stürmte er über den Schauplatz des
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