Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
sein, und es war ja kein Wind gegangen, der sie hätte bewegen können.
Mit anderen Worten: Er war das Problem von der völlig falschen Seite angegangen. Statt sich von diesen im Wind schwankenden Ästen verblüffen zu lassen, obwohl gar kein Wind gegangen war, hätte er die simple Tatsache berücksichtigen müssen, dass so etwas nicht möglich war. Also hatte sie möglicherweise jemand in Bewegung versetzt.
Richard hielt in seinem Auf-und-ab-Gehen inne und blieb stehen.
Vielleicht waren es aber auch gar nicht die Äste der Bäume gewesen, die sich bewegt hatten. Er hatte eine schattenhafte Bewegung wahrgenommen und angenommen, es handele sich um Äste; aber vielleicht war es ja etwas ganz anderes gewesen.
Diese eine einfache Erkenntnis ließ ihm plötzlich ein Licht aufgehen!
Er stand da wie erstarrt, die Augen aufgerissen, unfähig, sich von der Stelle zu rühren, als die Abfolge der Geschehnisse und die bruchstückhaften Erinnerungsfetzen jenes Morgens sich in seinem Verstand plötzlich zu einem Bild fügten, zu dem Gerüst des Verständnisses dessen, was an jenem Morgen geschehen war. Jemand hatte Kahlan entführt, vermutlich unter Verwendung irgendeiner Art Bann, wie man auch ihn in seinem Dämmerschlaf gehalten hatte, anschließend ihre Sachen zusammengesucht und das Lager aufgeräumt, um alle Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen. Das war die Bewegung gewesen, an die er sich erinnerte. Es waren also keinesfalls irgendwelche im Wind hin und her schwingenden Äste gewesen, sondern Personen. Mit der Gabe gesegnete Personen.
Richard sah einen roten Lichtschein aufleuchten. Als er darauf den Kopf hob, betrat Nicci soeben den kleinen Raum.
»Ich muss dich dringend sprechen, Richard.«
Er starrte sie an. »Verstehe. Übrigens, ich weiß jetzt, was die vierköpfige Viper zu bedeuten hat.«
Nicci wandte den Blick ab, so als ertrage sie es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Sofort war ihm klar, dass sie glaubte, er wolle seine Wahnvorstellung bloß um eine weitere Ebene bereichern.
»Hör zu, Richard, es ist wichtig.«
Er sah sie an, und eine Falte bildete sich auf seiner Stirn. »Habt Ihr etwa geweint?«
Ihre Augen waren rot und aufgequollen, dabei gehörte Nicci durchaus nicht zu der Sorte Frau, die zu Tränen neigte. Gewiss, er hatte sie schon weinen sehen, aber wenn, dann nur aus sehr gutem Grund.
»Schon gut«, erwiderte sie. »Du musst mir jetzt zuhören.«
»Und ich sage Euch, Nicci, ich habe herausgefunden …«
»Hör mir zu!« Sie hatte die Fäuste geballt und sah aus, als könnte sie jeden Moment erneut in Tränen ausbrechen. Ihm wurde klar, dass er sie noch nie auch nur annähernd so aufgewühlt gesehen hatte.
Eigentlich wollte er nicht noch mehr Zeit verschwenden, doch dann entschied er, dass es die Dinge womöglich beschleunigen könnte, wenn er sie sagen ließ, was sie zu sagen hatte.
»Also gut, ich höre.«
Nicci trat ganz nah zu ihm hin, fasste ihn bei den Schultern und blickte ihm mit ernster Miene in die Augen. Auf ihrer Stirn hatten sich tiefe Falten gebildet.
»Du musst von hier fort, Richard.«
»Was?«
»Ich habe Cara schon beauftragt, deine Sachen zusammenzusuchen, sie wird sie dir jeden Moment bringen. Sie behauptet, den Weg hierher zu kennen, jedenfalls bis hinunter in den Turm, ohne irgendwelche Schilde passieren zu müssen.«
»Ich weiß, ich selbst habe ihn ihr vor einiger Zeit gezeigt.« Richards Gefühl innerer Unruhe wuchs. »Was ist eigentlich los? Wird die Burg etwa angegriffen? Ist Zedd wohlauf?«
Es war beinahe eine mitleidige Geste, als Nicci ihm die Hand an die Wange legte. »Richard, die anderen sind fest entschlossen, dich von deinen Wahnvorstellungen zu heilen.«
»Kahlan ist keine Wahnvorstellung. Eben gerade habe ich herausgefunden, was in Wahrheit vorgefallen ist.«
Sie schien überhaupt keine Notiz davon zu nehmen, was er sagte, vielleicht ignorierte sie seine Bemerkung aber auch, weil sie sie für nichts anderes als einen weiteren aus einer langen Reihe von Versuchen hielt, das Unmögliche zu beweisen. Nur war er diesmal gar nicht daran interessiert, ihr etwas zu beweisen.
»So hör doch, Richard, du musst von hier verschwinden. Sie wollen, dass ich deine Erinnerung an Kahlan mithilfe subtraktiver Magie aus deinem Gedächtnis lösche.«
Richard blinzelte verblüfft. »Ihr wollt sagen, Ann und Nathan wollen das. Zedd würde so etwas niemals tun.«
»Doch, auch Zedd. Sie haben ihn davon überzeugt, dass du krank bist und die einzige Möglichkeit,
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