Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
so wichtigen Besuch wären eine zu verwirrende Mischung.«
Richard war es unangenehm, dass er als wichtiger Besuch betrachtet wurde, insbesondere von Menschen, die soeben einen Angehörigen verloren hatten, aber in Anbetracht der schlechten Neuigkeiten war dies kaum der rechte Zeitpunkt, diese Sichtweise zu korrigieren.
»Hab schon verstanden, Victor.«
»Ich hatte allerdings gehofft, Ihr könntet vielleicht ein paar Worte an sie richten. Es wäre ihnen bestimmt ein Trost, wenn Ihr ihnen erzählen würdet, wie tapfer ihre Männer waren. Mit einer kleinen Ansprache würdet Ihr ihren Angehörigen eine letzte Ehre erweisen.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
»Es gibt auch noch ein paar andere, die von meiner Rückkehr unterrichtet werden müssen. Sie werden es bestimmt kaum erwarten können, Euch zu sehen.«
Mit einer Handbewegung wies Richard auf Cara und Nicci. »Erst möchte ich den beiden hier etwas zeigen« – er deutete Richtung Stadtmitte -, »und zwar dort drüben.«
»Ihr meint auf dem Platz der Freiheit?«
Richard nickte.
»Dann werde ich, sobald ich es einrichten kann, dort zu Euch stoßen.«
Richard folgte Victor kurz mit dem Blick, als dieser rechter Hand in einer engen, gepflasterten Gasse verschwand.
»Was wollt Ihr uns denn zeigen?«, fragte Cara.
»Etwas, das Eurem Erinnerungsvermögen hoffentlich auf die Sprünge helfen wird.«
Als sein Blick zum ersten Mal wieder auf die majestätische, aus feinstem weißem Cavatura-Marmor gearbeitete Statue fiel, die im bernsteinfarbenen Licht des späten Tages erstrahlte, hätten beinahe seine Knie nachgegeben.
Jede noch so feine Rundung der Figur, jede Falte ihres fließenden Gewandes war ihm vertraut – ganz einfach deshalb, weil er damals das Original angefertigt hatte.
»Richard?« Nicci fasste ihn beim Arm. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er brachte kaum mehr als ein leises Flüstern hervor, während er zu der Statue jenseits der weiten Rasenfläche hinüberstarrte. »Ja, mir geht es prächtig.«
Ursprünglich war die riesige Freifläche das Baugelände für die Errichtung des ehemaligen Palasts gewesen, der zum Herrschaftssitz der Imperialen Ordnung hatte werden sollen. Hierher hatte Nicci ihn damals verschleppt, damit er sich zur Mehrung des Ruhmes der Imperialen Ordnung abrackere – in der Hoffnung, er werde die Bedeutung der Selbstaufopferung und das korrupte Wesen der Menschheit begreifen lernen. Stattdessen war sie es gewesen, die den Wert des Lebens zu würdigen gelernt hatte.
Doch dann hatte er, noch als Niccis Gefangener, monatelang bei der Errichtung des kaiserliches Palasts mitgeholfen. Dieser Palast war jetzt verschwunden, dem Erdboden gleichgemacht, übrig geblieben war nur noch ein Halbkreis aus Säulen des einstigen Hauptportals, die jetzt rings um die stolze Statue aus weißem Marmor Wache hielten, welche jene Stelle markierte, wo im Herzen der Finsternis die Fackel der Freiheit zum ersten Mal entzündet worden war.
Die Statue war nach dem Aufstand gegen die Herrschaft der Imperialen Ordnung angefertigt und den befreiten Bewohnern Altur’Rangs und dem Gedächtnis all jener gewidmet worden, die für diese Freiheit ihr Leben gelassen hatten. Die Stelle, wo die Menschen zum ersten Mal Blut für die Erlangung ihrer Freiheit vergossen hatten, galt jetzt als geweihter Boden. Victor hatte ihr den Namen Platz der Freiheit gegeben.
Angestrahlt vom warmen Licht der tief stehenden Sonne, leuchtete die Statue wie ein Fanal.
»Was seht Ihr?«, fragte Richard.
Cara hatte ebenfalls eine Hand auf seinem Arm. »Lord Rahl, es ist dieselbe Statue, die wir auch bei unserem letzten Besuch hier gesehen haben.«
Nicci pflichtete ihr nickend bei. »Exakt jene Statue, welche die Steinmetze nach dem Aufstand angefertigt haben.«
Der Anblick der Statue versetzte Richard einen schmerzhaften Stich. Ihre feinen weiblichen Rundungen, die Konturen von Körperbau und Muskulatur, all das war unter dem fließenden Gewand aus Stein deutlich zu erkennen. Die Frau aus Marmor wirkte fast lebendig.
»Und woher hatten die Steinmetze das Modell für diese Statue?«, wandte sich Richard an beide Frauen.
Die beiden sahen ihn ausdruckslos an.
Nicci strich sich mit einem Finger eine Strähne aus dem Gesicht, den ihr die feuchtwarme Brise vor die Augen geweht hatte. »Was meinst du?«
»Um eine Statue wie diese zu schaffen, fertigen Meistersteinmetze normalerweise ein Modell an, das sie anschließend maßstabgetreu vergrößern. Was ist Euch über
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