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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Blick darauf und winkten mich herein.
     

 
Cyriaca
     
    Ich war als einer der ersten angekommen. Noch waren die Diener in der Überzahl, welche ihr Werk offenbar gerade erst begonnen hatten, aber entschlossen waren, es sogleich zu vollenden. Sie entzündeten Kandelaber mit kristallenen Linsen und Lampions, die von den Bäumen hingen, trugen Speisen und Getränke auf, stellten sie ab und brachten die leeren Servierbretter wieder in einen der Kuppelbauten. Diese drei Aufgaben wurden von drei Dienern ausgeführt, gelegentlich aber auch nur von einem einzigen (weil die übrigen vermutlich anderswo zu tun hatten).
    Eine Zeitlang spazierte ich durch den Garten und bestaunte die Blumen im letzten Zwielicht des sich neigenden Tages. Schließlich erspähte ich zwischen den Säulen eines Pavillons ein paar Maskierte, zu denen ich mich gesellte.
    Was ein solches Fest im Haus Absolut bedeutet, habe ich bereits geschildert. Die hier versammelte Gesellschaft indes wirkte recht provinziell – ja gar so, als würden Kinder mit den alten Gewändern ihrer Eltern Verkleiden spielen. Ich sah Männer und Frauen im Kostüm eines Autochthonen, mit braun beschmiertem und weiß betupftem Gesicht, und sogar einen Mann, der ein Autochthone war, in einem Kostüm, das wie das der anderen mehr oder weniger echt war, und ich wollte schon über ihn lachen, als ich erkannte, daß er, auch wenn er und ich das vielleicht als einzige merkten, vielleicht origineller als alle anderen maskierten Bürger von Thrax verkleidet war. Zwischen diesen Autochthonen, ob echten oder eingebildeten, entdeckte ich ein Dutzend anderer Gestalten, die nicht weniger absurd wirkten – Offiziere, als Frauen verkleidet, und Frauen als Soldaten, trügerische Eklektiker, Gymnosophisten, Ablegaten und ihre Akoluthen, Eremiten, Eodola, Zoanthropen, halb Mensch, halb Tier, und Deodanten und Remontados in malerischen Lumpen, die Augen wild bemalt.
    Ich ertappte mich dabei, mir vorzustellen, wie seltsam es wäre, würde die Neue Sonne, das Tagesgestirn selbst, hier nun so plötzlich erscheinen, wie sie dereinst erschienen war, als man sie Schlichter genannt hatte – hier erschiene, weil es ein ungeeigneter Ort wäre und sie stets die ungeeignetsten Orte vorzog und diese Leute aus frischeren Augen, als wir es je vermöchten, betrachtete; und verfügte sie durch Theurgie, daß alle davon (von denen ich keinen kannte und keiner mich kannte) hinfort das Leben führten, in das sie heute abend geschlüpft waren. Die Autochthonen kauerten vor rauchenden Feuern in Berghütten aus Stein, der echte Autochthone bliebe für immer ein Städter in einem Maskenball, die Frauen rennten mit dem Schwert in der Hand gegen die Feinde der Republik an, die Offiziere säßen stickend und nähend an einem Nordfenster und blickten seufzend in die leeren Straßen, die Deodanten schrien klagend ihre unaussprechlichen Gräßlichkeiten in die Wildnis und die Remontados setzten ihr Haus in Brand und kehrten ihren Blick in die Berge; und nur ich bliebe unverändert, wie auch die Lichtgeschwindigkeit durch mathematische Umformungen unverändert bleibt, wie man sagt.
    Während ich hinter meiner Maske grinste, war mir, als drücke die Klaue in ihrem weichen Ledersäckchen an mein Brustbein, um mich daran zu gemahnen, daß der Schlichter kein Scherz gewesen sei und daß ich ein Bruchstück seiner Macht bei mir trüge. Als ich in diesem Moment über die befiederten, behelmten und wirrhaarigen Köpfe durch den Raum blickte, entdeckte ich eine Pelerine.
    So schnell es ging, bahnte ich mir einen Weg zu ihr, wobei ich alle zur Seite drängte, die nicht zur Seite traten. (Es waren nur wenige, und obschon mich keiner für das hielt, was ich darstellte, verwechselten sie mich ob meiner Größe mit einem Beglückten, wovon es weit und breit keinen echten gab.)
    Die Pelerine war weder jung noch alt; unter dem schmalen Domino wirkte ihr Gesicht rund, fein und entrückt wie das Gesicht der Oberpriesterin, die mich aus der Zeltkathedrale hatte gehen lassen, nachdem Agia und ich den Altar zerstört hatten. Spielerisch hielt sie ihr Gläschen Wein, das sie auf den Tisch stellte, als ich mich vor sie hinkniete, damit sie mir die Hand zum Kuße reichen könne.
    »Vergebt mir, Domiceila«, flehte ich. »Ich habe über Euch und über all Eure Schwestern großes Unheil gebracht.«
    »Der Tod bringt uns allen Unheil«, antwortete sie.
    »Der bin ich nicht.« Ich blickte zu ihr auf, wobei mir erste Zweifel kamen.
    Inmitten des

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