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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Gemurmels der Leute hörte ich sie zischend aufatmen. »Bist du nicht?«
    »Nein, Domiceila.« Obwohl ich sie schon anzweifelte, fürchtete ich, sie würde fortlaufen, also ergriff ich das Gürtelende, das von ihrer Hüfte baumelte. »Domicella, vergebt mir, aber gehört Ihr wirklich dem Orden an?«
    Stumm schüttelte sie den Kopf … und stürzte zu Boden.
    Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich ein Klient in unserer Oubliette ohnmächtig stellt, aber der Schwindel läßt sich leicht aufklären. Der Scheinohnmächtige schließt bewußt die Augen und hält sie geschlossen. Bei einem echten Schwächeanfall, der fast gleich häufig beide Geschlechter trifft, verliert das Opfer zunächst die Herrschaft über seine Augen, so daß sie kurzzeitig nicht mehr in die gleiche Richtung blicken; manchmal rollen sie unter die Oberlider. Die Lider wiederum schließen sich nur selten ganz, denn das Zuschlagen geschieht nicht bewußt, sondern ist auf eine bloße Muskelerschlaffung zurückzuführen. Für gewöhnlich kann man einen schmalen, sichelförmigen Ausschnitt der Sklera zwischen Ober- und Unterlid sehen, wie es auch bei dieser zusammengebrochenen Dame der Fall gewesen ist.
    Einige Männer halfen mir, sie in einen Alkoven zu tragen, wo allerlei dummes Zeug über Hitze und Aufregung geredet wurde, wovon nichts zugetroffen hatte. Zuerst war es mir unmöglich, die Schaulustigen zum Weitergehen zu bewegen – dann hatte die Sache den Reiz des Neuen verloren, so daß es mir gleichfalls schier unmöglich gewesen wäre, sie zum Bleiben zu veranlassen, hätte ich das gewollt. Inzwischen begann die Dame in Scharlachrot sich wieder zu regen, und ich erfuhr von einer anderen, etwa gleichaltrigen Dame, die als Kind verkleidet war, daß sie die Gemahlin eines Waffenträgers sei, dessen Villa nicht weit von Thrax entfernt liege, der sich aber gerade zu irgendwelchen Erledigungen in Nessus aufhalte. Nun ging ich zurück zu dem Tischchen, holte ihr Gläschen und benetzte ihre Lippen mit dem roten Trunk darin.
    »Nein«, wehrte sie matt ab. »Ich will das nicht …’s ist Sangaree – hasse ich. Hab’s – hab’s nur ausgewählt, weil die Farbe zu meinem Kostüm paßt.«
    »Warum bist du ohnmächtig geworden? Weil ich dich für eine echte Ordensfrau hielt?«
    »Nein, weil es mir dämmerte, wer du bist«, versetzte sie, woraufhin wir, sie halb zurückgelehnt auf dem Diwan, zu dem wir sie getragen hatten, ruhend, ich bei ihren Füßen sitzend, eine Weile schwiegen.
    Ich ließ den Augenblick, als ich vor ihr gekniet hatte, in meinem Gedächtnis Wiederaufleben; ich vermag es, wie gesagt, jeden Moment meines Lebens zu rekonstruieren. Schließlich wollte ich wissen: »Wie bist du darauf gekommen?«
    »Jeder andere in diesen Kleidern hätte, wäre er gefragt worden, ob er der Tod sei, das bestätigt … da es sein Kostüm wäre. Ich saß vor einer Woche im Gericht des Archons, als mein Gemahl einen unserer Tagelöhner des Diebstahls bezichtigte. An diesem Tag sah ich dich neben der Richterbank stehen, die verschränkten Arme auf die Parierstange des Schwertes, das du nun trägst, gestützt, und als ich dich vorhin sprechen hörte, während du meine Finger küßtest, erkannte ich dich wieder und dachte … Oh, ich weiß nicht, was ich dachte! Ich dachte wohl, du habest dich niedergekniet, weil du mich zu töten beabsichtigtest. Einfach wie du dagestanden hast, wie du ausgesehen hast, wie einer, der recht galant wäre zu den armen Leuten, deren Kopf er sogleich abschlüge, und insbesondere zu Frauen.«
    »Ich habe mich nur niedergekniet, weil ich in Erfahrung bringen will, wo die Pelerinen sich aufhalten, und weil dein Kostüm, genau wie das meinige, nicht wie ein Kostüm gewirkt hat.«
    »Es ist auch keins. Das heißt, ich bin nicht berechtigt, es zu tragen, aber es ist nicht nur etwas, das ich mir von meinen Zofen hab’ besorgen lassen. Es ist eine echte Ordenstracht.« Sie hielt inne. »Weißt du, das ich nicht einmal deinen Namen kenne?«
    »Severian. Du heißt Cyriaca – sagte eine der Damen, als wir uns um dich kümmerten. Darf ich erfahren, wie du in den Besitz dieser Tracht gekommen bist und ob du weißt, wo die Pelerinen jetzt sind?«
    »Das fragst du doch nicht in amtlicher Eigenschaft, oder?« Sie sah mir eine Weile in die Augen und schüttelte dann den Kopf. »Was Persönliches. Nun, ich wurde von ihnen erzogen, weißt du. Ich war Novizin bei ihnen, und wir bereisten den ganzen Kontinent. Ich hatte unterwegs herrlichen

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