Das Schwert des Liktors
Botanikunterricht, einfach indem ich mir die Bäume und Pflanzen ansah. Im Nachhinein kommt’s mir manchmal so vor, als wären wir binnen einer Woche von Palmen zu Kiefern gelangt, was natürlich nicht sein kann.
Ich wollte die ewigen Gelübde ablegen. Ein Jahr vor der Einkleidung nun wird die Tracht angefertigt, so daß man sie probieren und abändern kann und man sie stets zwischen seinen normalen Kleidern sieht, wenn man auspackt. Es ist, wie wenn ein Mädchen das Brautkleid seiner Mutter sieht, das auch schon die Großmutter getragen hat, und weiß, daß es eines Tages darin heiraten wird, falls es je die Ehe einginge. Nur hab’ ich meine Tracht nie getragen, und als ich nach langem Warten, bis daß wir in die Nähe kämen, da ich niemand zum Geleit hätte, heimgekehrt bin, hab’ ich sie mitgenommen.
Lange Zeit dachte ich nicht mehr daran. Aber als ich dann die Einladung des Archons erhielt, holte ich sie wieder hervor und beschloß, sie heute zu tragen. Ich bin stolz auf meine Figur – wir mußten sie nur an einigen Stellen auslassen. Sie steht mir, glaube ich, und ich habe das Gesicht für eine Pelerine, auch wenn ich nicht ihre Augen habe. Eigentlich habe ich die Augen nie gehabt, auch wenn ich immer dachte, ich bekäme sie bei den Gelübden oder später. Unsere Novizenmeisterin hatte diesen Blick. Wenn sie über einer Näharbeit saß und man ihre Augen ansah, wollte man glauben, sie schauten bis zum Ende der Urth, wo die Perischii leben, blickten schier durch das alte, zerrissene Hemd und die Zeltwände, sähen durch alles hindurch. Nein, ich weiß nicht, wo die Pelerinen jetzt sind – ich bezweifle, ob sie es selbst wissen, obwohl vielleicht die Mutter den Aufenthalt kennt.«
Ich sagte: »Du wirst bestimmt Freunde unter ihnen gehabt haben. Ist von den anderen Novizinnen keine geblieben?«
Cyriaca zuckte die Achseln. »Keine hat mir je geschrieben. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Ist dir nun wieder wohler? Können wir nun zum Ball zurück?« Die ersten Klänge der Musik drangen in unseren Alkoven.
Sie bewegte den Kopf nicht, wandte mir aber die Augen zu, die den Korridoren der Jahre gefolgt waren, während sie von den Pelerinen erzählt hatte, und blickte mich von der Seite an. »Hast du denn Lust dazu?«
»Kaum. Ich fühle mich nicht wohl unter so vielen Leuten, es sei denn, die Leute wären meine Freunde.«
»Also hast du Freunde?« Sie schien wirklich verblüfft.
»Hier nicht – hier hab’ ich nur einen Freund. Aber daheim in Nessus hatt’ ich die Brüder unserer Zunft.«
»Verstehe.« Sie zögerte. »Wir brauchen gar nicht zu gehen. Dieses Fest dauert die ganze Nacht, und wenn der Archon noch Lust und Laune hat, wird man die Vorhänge schließen, um das Licht auszusperren, und vielleicht sogar das Zeltdach über den Garten spannen. Wir können sitzen bleiben, so lange wir wollen. Sobald ein Diener vorbeikommt, können wir nehmen, was wir essen und trinken wollen. Geht jemand vorbei, der uns zusagt, können wir ihn hereinrufen und ein Pläuschchen halten.«
»Ich fürchte, ich würde dich bald langweilen«, versetzte ich.
»Keinesfalls, denn ich habe nicht vor, dich viel reden zu lassen. Reden werd’ ich, und du wirst mir zuhören. Um es gleich zu sagen – weißt du, daß du sehr hübsch bist?«
»Ich weiß, daß ich es nicht bin. Aber da du mich noch nie ohne Maske gesehen hast, kannst du unmöglich wissen, wie ich aussehe.«
»Im Gegenteil.«
Sie beugte sich nach vorne, als wollte sie mein Gesicht durch die Augenlöcher mustern. Ihre eigene Maske aus Stoff in der Farbe ihres Gewandes war lediglich ein konventioneller Notbehelf, so klein waren die beiden mandelförmigen Ringe, die nur ihre Augen bedeckten; dennoch verlieh sie ihrem Aussehen etwas Exotisches, das es sonst entbehrt hätte, und einen mysteriösen, verhüllenden Zug, der sie von der Last der Verantwortung befreite.
»Du bist, wette ich, ein sehr kluger Mann, wenn du auch noch nicht so viel erlebt hast wie ich, denn sonst hättest du die Kunst gelernt, Gesichter einzuschätzen, ohne sie zu sehen. Am schwierigsten ist das natürlich dann, wenn jemand eine hölzerne Fratze trägt, die nicht mit den Zügen des Gesichts darunter übereinstimmt, aber selbst dann läßt sich recht viel sagen. Du hast ein spitzes Kinn, nicht wahr? Mit einem Grübchen darin.«
»Ein spitzes Kinn – ja«, antwortete ich. »Aber kein Grübchen.«
»Du lügst, um mich in die Irre zu führen, oder du hast es noch gar nicht bemerkt. Ich kann
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