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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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nun machte sie sich ernsthaft Sorgen.
    Unser Mahl war so einfach, es hätte schlichter fast nicht sein können; aber ich hatte solchen Heißhunger, daß es mir schmeckte wie kein anderes in meinem Leben. Es gab Gemüsesuppe ohne Salz oder Butter, grobes Brot und ein bißchen Fleisch. Keinen Wein, kein Obst, nichts Frisches und nichts Süßes; dennoch aß ich wohl mehr als die drei anderen zusammen.
    Nach dem Essen holte die Frau (die Casdoe hieß, wie ich erfahren hatte) einen langen, eisenbeschlagenen Stock aus einer Ecke und machte sich daran, nach ihrem Mann zu suchen, wobei sie dem Greis, der sie anscheinend gar nicht hörte, erklärte, sie gehe nicht weit und kehre bald zurück. Da er starr wie immer vor dem Feuer hocken blieb, rief ich den Knaben durch gutes Zureden zu mir und fragte ihn, nachdem ich sein Vertrauen gewonnen hatte, indem ich ihm Terminus Est zeigte und am Heft halten und die Klinge heben ließ, ob nicht Severa herunterkommen und sich um ihn kümmern solle, solange seine Mutter fort sei.
    »Gestern abend kam sie zurück«, meinte er.
    Ich dachte, er beziehe sich auf seine Mutter, und erwiderte: »Sie kommt auch ganz bestimmt heute abend wieder zurück, aber glaubst du nicht, Severa sollte sich jetzt um dich kümmern, solange sie weg ist?«
    Wie es Kinder, die die Sprache noch nicht genügend beherrschen, um Wortgefechte zu führen, manchmal tun, zuckte der Knabe die Achseln und wollte sich abkehren.
    Ich hielt ihn an der Schulter fest. »Geh jetzt bitte nach oben, kleiner Severian, und sag ihr, sie soll herunterkommen! Ich werd’ ihr, das ist versprochen, auch nichts tun.«
    Er nickte und ging zur Leiter, wenn auch langsam und widerwillig. »Böse Frau!« rief er.
    Daraufhin setzte zum ersten Mal, seitdem ich in diesem Haus war, der Greis zum Sprechen an. »Becan, komm her! Ich möcht’ dir was von Fechin erzählen.« Erst nach einer Weile verstand ich, daß er mich unter dem Eindruck, ich sei sein Schwiegersohn, gemeint hatte.
    »Er war der Schlimmste von uns allen, dieser Fechin. Ein großer, wilder Knabe mit rotem Haar auf Händen und Armen. Sahen aus wie Affenarme, und langte er um eine Ecke, um sich was zu nehmen, wollte man, wären sie nicht so groß gewesen, glauben, es sei ein Affe, der was nehme. Einmal nahm er unsere Kupferpfanne, womit Mutter immer Würste briet, und ich sah seinen Arm, sagte aber nichts, weil er mein Freund war. Ich sah sie, fand sie nie wieder, obwohl ich tausendmal mit ihm zusammen war. Dachte mir, er habe sich ein Schiff daraus gemacht und es auf dem Fluß fahren lassen, denn das wollte ich selbst immer tun. Ich ging zum Fluß, um danach zu suchen, aber ehe ich mich versehen hatte, wurde es Nacht; lange bevor ich auch nur einen Schritt heimwärts gesetzt hatte. Vielleicht hatte er den Boden poliert, um sich zu betrachten – manchmal zeichnete er sich selbst. Vielleicht hatte er sie mit Wasser gefüllt, um sein Spiegelbild zu sehen.«
    Ich hatte die Stube durchquert, um ihm zu lauschen, teils weil er so undeutlich sprach, teils aus Respekt, denn sein greises Gesicht erinnerte mich ein wenig an Meister Palaemon, obwohl er noch seine natürlichen Augen hatte. »Ich traf einmal einen Mann in deinem Alter, der für Fechin Modell gestanden hatte«, äußerte ich.
    Der Greis sah zu mir auf; so schnell wie der Schatten eines Vogels über einen grauen, achtlos aus dem Fenster ins Gras geworfenen Lumpen glitte, huschte, wie ich bemerkte, die Erkenntnis über sein Gesicht, daß ich nicht der gegangene und wiedergekehrte Becan sei. Er sprach jedoch in einem fort weiter und bekundete in keiner Weise seinen Irrtum. Was er zu sagen hatte, so kam es mir vor, wäre so wichtig, daß es erzählt, jemandes Ohr anvertraut werden müsse, um nicht für immer verloren zu sein.
    »Sein Gesicht war allerdings kein Affengesicht. Fechin war hübsch – der Hübscheste weit und breit. Von jeder Frau bekam er zu essen oder Geld. Alles bekam er von Frauen. Einmal gingen wir auf dem Weg, der zur alten Mühle führte, die damals noch stand. Ich hatte ein Blatt Papier, das der Schulmeister mir gegeben hatte. Richtiges Papier, nicht mehr ganz weiß, sondern schon vergilbt und mit kleinen Flecken überall, so daß es aussah wie eine Forelle in Milch. Der Schulmeister hatte es mir gegeben, damit ich einen Brief für meine Mutter schreiben könnte – in der Schule schrieben wir immer auf eine Tafel, die dann mit einem Schwamm abgewischt wurde, wenn wir etwas neu schreiben mußten, und wenn keiner

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