Das Schwert des Liktors
hersah, warfen wir den Schwamm, von der Tafel verdeckt, gegen die Wand oder jemand an den Kopf. Aber Fechin malte gern, und als wir dort gingen, fiel mir das ein, und ich stellte mir vor, was für ein Gesicht er machen würde, hätte er Papier, um ein Bild zu zeichnen, das er behalten könnte.
Nur so etwas behielt er. Alles andere verlor er oder verschenkte es oder warf es weg. Ich wußte genau, was ich Mutter sagen wollte, und fand, daß ich’s aufs halbe Papier brächte, würde ich klein schreiben. Fechin wußte nicht, daß ich welches hatte, aber ich zog’s heraus, zeigte es ihm, faltete es dann und trennte es entzwei.«
Über unseren Köpfen vernahm ich die flötende Stimme des Knaben, konnte allerdings nicht verstehen, was er sagte.
»Das war der strahlendste Tag meines Lebens. Die Sonne hatte neues Leben erhalten, gleichsam wie’s bei einem Mann ist, der gestern noch krank gewesen ist und morgen wieder krank sein wird, heute aber umhergeht und lacht, so daß ein hinzukommender Fremder meinen möchte, es fehle ihm nichts, er sei gar nicht krank; die Medizin und das Bett seien für jemand anders. Man spricht in Gebeten immer, die Neue Sonne werde so hell scheinen, man könne sie gar nicht ansehn, was ich bis zu diesem Tag nur für eine Redensart, eine fromme Floskel hielt, wie man einen Säugling hübsch nennt oder das lobt, was ein guter Mann sich geschaffen hat, daß man, und wären auch zwei Sonnen am Himmel, sogar beide betrachten könnte. Aber an diesem Tag erfuhr ich, daß all das stimme, und ihr Licht strahlte so aus Fechins Gesicht, daß ich’s nicht aushalten konnte. Die Augen wurden mir davon wäßrig. Er bedankte sich, und wir gingen weiter und kamen zu einem Haus, worin ein Mädchen wohnte. Ich kann mich nicht mehr auf den Namen besinnen, aber die junge Dame war wirklich wunderschön, so wie es die stillsten zuweilen sind. Ich hatte bis dahin gar nicht gewußt, daß Fechin sie kannte, aber er bat mich zu warten, und ich setzte mich auf die erste Treppenstufe vor dem Tor.«
Jemand Schwereres als der Knabe ging über uns auf die Leiter zu.
»Er blieb nicht lange drin, aber als er herauskam und sie ihm aus dem Fenster nachblickte, wußte ich, was sie gemacht hatten. Ich sah zu ihm, und er breitete seine langen, dünnen Affenarme aus. Wie konnte er teilen, was er gehabt hatte? Schließlich bat er sie, mir einen halben Laib Brot und etwas Obst zu geben. Er zeichnete mein Bild auf die eine Hälfte des Papiers, das der Dame auf die andere, behielt aber beide Bilder.«
Die Leiter knarrte, woraufhin ich mich nach ihr umwandte. Wie erwartet kletterte eine Dame herunter. Sie war nicht groß, hatte aber eine volle Figur und eine schmale Taille; ihr Gewand war fast genauso zerlumpt wie das der Mutter des Knaben, aber viel schmutziger. Üppiges braunes Haar fiel auf ihren Rücken. Ich glaube, sie erkannt zu haben, ehe sie sich umgedreht hat und ich die hohen Wangenknochen und ihre langen braunen Augen hab’ sehen können – es war Agia. »Du wußtest also von Anfang an, daß ich hier sei«, sagte sie.
»Ich könnte dir dasselbe erwidern. Offenbar bist du vor mir hier gewesen.« »Ich hab’ mir gedacht, du kämest hier vorbei. Es fügte sich, daß ich kurz vor dir eintraf, und ich erklärte der Frau dieses Hauses, was du mit mir tun würdest, wenn sie mich nicht versteckte«, berichtete sie. (Offenbar wollte sie mir klarlegen, hier einen, wenn auch schwachen Verbündeten zu haben.)
»Seit ich dich zu Saltus in der Menge erspäht habe, trachtest du mir nach dem Leben.«
»Ist das eine Anklage? Ja?«
»Du lügst!«
Agia geriet aus der Fassung, was ich nur selten bei ihr erlebte. »Was soll das heißen?«
»Daß du schon vor Saltus versucht hast, mich zu töten.«
»Mit der Averne. Ja natürlich.«
»Und danach. Agia, ich weiß, wer Hethor ist.«
Ich wartete auf ihre Antwort, aber sie blieb aus.
»Am Tag, als wir uns begegneten, erzähltest du mir von einem alten Seemann, der dich zur Lebensgefährtin wollte. Alt, häßlich und arm nanntest du ihn, und ich konnte nicht verstehen, warum du, eine liebenswerte junge Dame, einen solchen Antrag überhaupt in Betracht ziehen solltest, wenn du nicht gerade am Verhungern wärst. Du hattest deinen Zwillingsbruder zum Beschützer und einen Laden, der etwas Geld einbrachte.«
Nun war die Verblüffung auf meiner Seite, als sie entgegnete: »Ich hätte zu ihm gehn und ihn mir unterwerfen sollen. Nun hab’ ich ihn mir unterworfen.«
»Ich dachte, du
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