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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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der Mann habe gewöhnliche Kleider getragen. Allerdings dachten wir uns, die Kleine wisse, wo du wärst, und daß sie eher bei Hethor sprechen würde. Sein richtiger Name ist übrigens gar nicht Hethor. Sein richtiger, sagt er, sei ein viel älterer, den kaum einer noch kenne.«
    »Er erzählte Dorcas von der Feuerkreatur«, sagte ich, »und sie erzählte es mir weiter. Ich hatte bereits davon gehört, aber Hethor kannte einen Namen dafür – er nannte es einen ›Salamander‹. Ich dachte mir nichts dabei, als Dorcas es erwähnte, aber später fiel mir ein, daß Jonas einen Namen für das schwarze Ding gehabt hatte, das beim Haus Absolut hinter uns herflog. Er nannte es ›Notule‹ und erklärte, die Leute auf den Schiffen hätten es so genannt, weil es sich ihnen als niedergehender Wärmeschwall offenbarte. Wenn Hethor einen Namen für die Feuerkreatur hatte, so war’s wahrscheinlich ein Seemannsname, und vermutlich besteht zwischen ihm und der Kreatur selbst sogar irgendein Zusammenhang.«
    Über Agias Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. »Somit weißt du also alles und hast mich, wo du mich haben willst – vorausgesetzt, du kannst hier drinnen diese deine große Klinge schwingen.«
    »Die brauch’ ich gar nicht. Schließlich hab’ ich dich bei der Mine schon einmal aufs Kreuz gelegt.«
    »Aber ich hab’ noch mein Messer.«
    In diesem Moment erschien die Mutter des Knaben in der Tür, und wir hielten beide inne. Erstaunt blickte sie von Agia zu mir; als könnte nichts ihren Kummer erschüttern oder sie von dem abhalten, was sie zu tun hätte, schloß sie die Tür und trug den schweren Stock an seinen Platz.
    Agia erklärte: »Er hörte mich oben, Casdoe, so daß ich herunterkommen mußte. Er will mich töten.«
    »Und wie soll ich das verhindern?« antwortete die Frau matt. Dann wandte sie sich an mich. »Ich versteckte sie, weil sie sagte, du wollest ihr was antun. Wirst du mich auch töten?«
    »Nein. Noch will ich sie töten, was sie auch ganz genau weiß.«
    Agia verzerrte das Gesicht zu einer zornigen Fratze, wie das Gesicht einer Schönheit, vielleicht von Fechin persönlich aus buntem Wachs modelliert, sich in offenem Feuer, zugleich schmelzend und brennend, wandeln würde. »Du hast Agilus getötet, und das mit Stolz und Freude! Bin ich nicht genauso wie er zum Sterben bereit? Wir waren ein Fleisch!« Ich hatte ihr nicht ganz geglaubt, daß sie, wie sie sagte, als Waffe ein Messer habe, aber mit einem Ruck, ohne daß ich sie beim Ziehen gesehen hätte, war es nun draußen – ein krummer Dolch aus Thrax.
    Schon seit einer Weile war die Luft drückend, denn es braute sich ein Unwetter zusammen. Nun rollte der erste Donner tosend in den Gipfeln über uns. Als das vielfache Echo fast verhallt war, setzte etwas anderes zur Antwort an. Ich vermag die Stimme nicht zu beschreiben; es ist weder ein menschlicher Schrei noch das bloße Gebrüll eines Tiers gewesen.
    Dabei wurde die matte Casdoe munter und fing hastig zu hantieren an. Massive Holzläden lehnten an der Wand hinter jedem der schmalen Fenster; sie packte den nächsten, stemmte ihn hoch, als wäre er nicht schwerer als ein Kochtopf, und schleuderte ihn krachend an seinen Platz. Draußen bellte wie verrückt der Hund, verstummte aber rasch, so daß nur mehr das Prasseln der ersten Regentropfen zu hören war.
    »So früh!« rief Casdoe. »So früh!« Zu ihrem Sohn: »Severian, aus dem Weg!«
    Durch eines der noch unverschlossenen Fenster vernahm ich eine Kinderstimme: »Vater, hilf mir doch!«

 
Der Alzabo
     
    Ich ging Casdoe zur Hand, wobei ich Agia und ihrem Messer den Rücken zukehrte. Das war ein Fehler, der mir fast das Leben gekostet hätte, denn sie ging auf mich los, sobald ich mich an einem der Fensterläden zu schaffen machte. Frauen und Schneider halten – einem Sprichwort zufolge – die Klinge unter der Hand, aber Agia stach nach oben, um die Gedärme zu eröffnen und das Herz von unten zu durchbohren wie ein vollendeter Meuchelmörder. Gerade noch rechtzeitig drehte ich mich um und fing den Stoß mit dem Fensterladen ab; die Spitze fuhr ins Holz und ragte blitzend an der anderen Seite heraus.
    Die Wucht ihres Stoßes ließ sie taumeln. Ich zerrte den Laden zur Seite und warf ihn mitsamt ihrem Messer quer durch die Stube. Sie und Casdoe machten beide einen Satz danach. Ich erwischte Agia am Arm und zog sie zurück, während Casdoe den Laden flugs an seinen Platz wuchtete, so daß das Messer nach außen in das ausbrechende

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