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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ist von Sauberkeit und Ordnung als seine Grundlage die Rede gewesen. Ein Minzbett stehe unter dem Fenster, Brennholz sei an der kältesten Wand aufgeschichtet und so weiter. All dies entbehrte diese Hütte, in der kein solcher Idealzustand herrschte; dennoch war dieses Heim vollkommener, trotz seiner Unzulänglichkeit, und zeigte, daß Menschen an einem solch entlegenen Ort leben und lieben konnten, auch ohne auf ihre Heimat Verse zu reimen.
    »Rasierst du dich immer mit deinem Schwert?« wollte die Frau wissen. Das war ihre erste unbedachte Äußerung.
    »Ist Gewohnheit, Tradition. Wenn das Schwert nicht scharf genug zum Rasieren wäre, müßt’ ich mich schämen, es zu tragen. Und wenn es scharf ist, was brauch’ ich dann ein Rasiermesser?«
    »Trotzdem wird’s recht umständlich sein, dauernd da oben mit der großen Klinge zu hantieren, und du mußt besonders aufpassen, daß du dich nicht schneidest.«
    »Das kräftigt meine Arme. Außerdem ist es nur gut, das Schwert so oft als möglich in die Hand zu nehmen, damit’s mir vertraut wie die eignen Glieder werde.«
    »Du bist also Soldat. Dacht’ ich’s mir doch.«
    »Ich bin Menschenschlächter.«
    Nun war sie bestürzt und meinte: »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Ich fühle mich nicht beleidigt. Jedermann tötet – du hast in deinem Topf die Wurzeln getötet, als du sie ins kochende Wasser gelegt hast. Wenn ich einen Menschen töte, bewahre ich alle Lebewesen vor dem Tod, denen er den Garaus gemacht hätte, wäre er selbst am Leben geblieben, und rette damit vielleicht viele Männer, Frauen und Kinder vor seiner Hand. Was macht dein Mann?«
    Die Frau lächelte zaghaft. Das war ihr erstes Lächeln, und es ließ sie ein bißchen jünger aussehen. »Alles. Hier oben muß man alles machen.«
    »Ihr seid also nicht hier geboren?«
    »Nein«, erwiderte sie. »Nur Severian …« Das Lächeln war verschwunden.
    »Sagtest du Severian?«
    »So heißt mein Sohn. Du hast ihn beim Reinkommen gesehen. Er belauscht uns jetzt. Manchmal ist er recht gedankenlos.«
    »So heiß’ auch ich. Ich bin Meister Severian.«
    Sie rief dem Knaben zu: »Hast du das gehört? Der Gevatter heißt genauso wie du!« Dann, wieder mir zugewandt: »Ist es ein guter Name, was meinst du? Gefällt er dir?«
    »Darüber hab’ ich, fürcht’ ich, noch nie nachgedacht, aber ich denke schon. Er paßt wohl zu mir.« Ich war mit der Rasur fertig und setzte mich auf einen der Stühle, um die Klinge zu säubern.
    »Ich bin in Thrax geboren«, erzählte die Frau. »Bist du dort schon gewesen?«
    »Ich komme gerade von dort«, erklärte ich ihr. Sollten die Dimarchi sich nach meinem Aufbrechen bei ihr erkundigen, würde mich ihre Beschreibung meiner Kleidung sowieso verraten.
    »Du kennst dort nicht eine Frau namens Herais? Sie ist meine Mutter.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, ’s ist ja wohl auch eine große Stadt. Du warst nicht lange dort?«
    »Nein, nicht recht lang. Hast du, seit du in diesen Bergen bist, etwas von den Pelerinen gehört? Das ist ein Priesterinnenorden in roter Tracht.«
    »Leider nicht. Wir erfahren hier nicht viel.«
    »Ich will sie finden. Wenn’s mir nicht gelingt, will ich mich der Armee anschließen, die der Autarch gegen die Ascier führt.«
    »Mein Mann könnte dir besser Auskunft geben. Trotzdem hättest du nicht so hoch heraufkommen sollen. Becan – das ist mein Mann – sagt, die Patrouillen halten keine nordwärts ziehenden Soldaten auf, selbst wenn sie die alten Straßen benutzen.«
    Während sie von nordwärts ziehenden Soldaten sprach, bewegte sich noch jemand – viel näher. Es war eine so verstohlene Bewegung, daß sie neben dem Knistern des Feuers und dem keuchenden Atmen des Greises kaum zu hören, aber dennoch unverkennbar war. Bloße Füße, die das regungslose Verharren, das die Stille gebot, nicht mehr ausgehalten hatten, waren heimlich von der Stelle getreten, und die Planken unter ihnen hatten ob des neuen Gewichts geächzt.
     

 
Er ist dir voraus!
     
    Der Mann, der vor dem Essen hätte eintreffen sollen, kam nicht, und so setzten wir uns zu viert – die Frau, der Greis, der Knabe und ich – an den Tisch, um ohne ihn zu essen. Ich hatte die Mutmaßung seiner Frau zuerst für eine Lüge gehalten, die sie gebrauchte, um mich abzuschrecken, falls ich etwas Böses im Schilde führte; aber als der trübe Nachmittag sich in aller Stille, wie sie vor einem Sturm herrscht, neigte, wurde es offensichtlich, daß sie glaubte, was sie sagte, und

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