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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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hatte, und zum Schutz vor Stürmen mit flachen Steinen beschwert. Es ist, kurz gesagt, das Heim eines jener Siedler gewesen, die der Glanz und das Elend unserer Republik sind, weil sie in einem Jahr landwirtschaftliche Überschüsse erwirtschaften, die der Bevölkerung von Nessus zufließen, aber im nächsten Jahr selbst ernährt werden müssen, damit sie nicht verhungern.
    Wenn zu einer Tür kein gepflasterter Weg führt, kann man daran, wie stark das Gras zertrampelt ist, erkennen, wie viele Füße ein und aus gehen. Hier war nur ein kleiner, taschentuchgroßer Fleck blanker Erde vor der steinernen Schwelle. Als ich das sah, kam mir der Gedanke, daß ich den Bewohner dieses Häuschens (denn ich vermutete anhand dessen nur einen einzigen) erschrecken könnte, erschiene ich unangekündigt vor der Tür, also hielt ich, zumal auch der Hund längst nicht mehr bellte, am Rande der Lichtung inne und rief einen Gruß.
    Die Bäume und der Himmel verschluckten ihn, und zurück blieb nur Stille. Abermals rief ich und näherte mich der Tür, wobei der Hund mir auf den Fersen folgte; kaum war ich kurz davor, als eine Frau darin erschien. Sie hatte feine Züge, ein Gesicht, das sich mit wenigen Mitteln schön machen ließe, wäre nicht dieser gehetzte Blick gewesen, aber ein zerlumptes Kleid, das sich nur dadurch von dem einer Bettlerin unterschied, weil es sauber war. Kurz darauf spähte ein rundes, kleines Knabengesicht mit noch größeren Augen als die Mutter hinter ihrem Rock hervor.
    Ich sagte: »Tut mir leid, habe ich euch erschreckt, aber ich hab’ mich in diesen Bergen verirrt.«
    Die Frau nickte zögernd und trat dann zur Seite, damit ich hereinkäme. Ihr Haus war innerhalb der dicken Mauern noch kleiner, als ich angenommen hatte, und es roch unverkennbar nach Gemüsesuppe, die in einem Topf an einem Haken über dem offenen Feuer kochte. Die Fenster waren zahlreich und klein und wirkten wegen der starken Wände eher wie düstere Kästen als wie Lichtöffnungen. Ein Greis kauerte, mit dem Rücken zum Herd, auf einem Pantherfell; er blickte so stier und dumm vor sich hin, daß ich ihn zunächst für blind hielt. Es stand ein Tisch in der Stubenmitte, mit fünf Stühlen darum, wovon drei offenbar für Erwachsene gedacht waren. Mir fiel ein, was Dorcas über die Möbel aus den verlassenen Häusern in Nessus, die für Eklektiker, die sich kultivierte Sitten angeeignet hatten, herangeschafft wurden, erzählt hatte, aber diese hier waren offenbar an Ort und Stelle zusammengezimmert worden.
    Die Frau sah, wohin ich blickte, und sagte: »Mein Mann wird bald hier sein. Vor dem Essen.«
    Ich antwortete: »Sei unbesorgt – ich will euch nichts Böses. Wenn ich mit euch essen und heut’ nacht hier schlafen darf, will ich gern bei allem helfen, was es zu tun gibt.«
    Die Frau nickte, und ganz unerwartet piepste der kleine Knabe: »Hast du Severa gesehn?« Seine Mutter drehte sich flugs nach ihm um, daß ich an Meister Gurloes denken mußte, wie er verschiedene Griffe zur Bezwingung eines Gefangenen vorgeführt hatte. Ich hörte den Schlag, obgleich ich ihn kaum sah, und der Knabe kreischte. Seine Mutter verriegelte die Tür, und das Kind verkroch sich hinter einer Truhe in der von ihr entferntesten Ecke. Dem entnahm ich, daß Severa ein Mädchen sei, das die Mutter für verwundbarer als sich selbst hielt und das sich hatte verstecken müssen (vermutlich im Dachboden unter dem Stroh), ehe ich eingelassen wurde. Aber zugleich überlegte ich mir, daß weitere Versicherungen bezüglich meiner lauteren Absichten unnütz wären bei dieser Frau, die zwar ungebildet, aber gewiß nicht töricht war, und daß ich ihr Vertrauen am ehesten gewänne, indem ich es mir verdiente. Ich bat also um Wasser zum Waschen, das ich mir selbst holen würde, falls ich es an ihrem Feuer warm machen dürfte. Sie gab mir einen Tiegel und erklärte mir, wo die Quelle war.
    Irgendwann war ich schon an den meisten Orten, die normalerweise als romantisch gelten – auf einer hohen Turmspitze, tief im Innern der Welt, in Palästen und Schlössern, in Urwäldern und an Bord eines Schiffes –, aber nichts von alledem berührte mich so wie diese schlichte Steinhütte. Ich empfand es als den Archetypus jener Höhlen, in die sich die Menschheit am tiefsten Punkt eines jeden Zivilisationszyklus, wie die Wissenschaft lehrt, verkriecht. Immer wenn ich über ein idyllisches, bäuerliches Refugium (und dieser Vorstellung war Thecla sehr zugetan) gehört oder gelesen habe,

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