Das Schwert des Liktors
hast du das gesehn? Das bin ich, der ich wiedergekehrt. Du bist in meinem Auge, und es ist die Iris meines echten Auges, an der dein Rücken liegt. Verstehst du? Du bist eine Träne, eine einzelne schwarze Träne, die ich weine. Gleich wirst du rollen und mein Gewand benetzen. Wer kann dich retten, Talismanträger?«
»Du. Typhon.«
»Nur ich?«
»Nur Typhon.«
Er zog mich wieder hinauf, und ich klammerte mich an ihn, wie sich einst der Knabe an mich geklammert hatte, bis ich wieder ganz in der Kammer, der Hirnschale des Berges, war.
»Nun denn«, sagte er, »versuchen wir es noch einmal. Du mußt mit mir wieder zum Auge kommen. Vielleicht fällt’s dir leichter, wenn wir statt dem rechten zum linken gehn.«
Er nahm mich beim Arm. Ich denke, man kann sagen, ich bin freiwillig gegangen, da ich die Beine gebraucht habe; aber ich denke, keinen Gang meines Lebens bin ich so ungern gegangen. Nur der Gedanke an die soeben erfahrene Erniedrigung bewirkte, daß ich überhaupt ging. Erst als wir unmittelbar am Rand des Auges angelangt waren, blieben wir stehen; dann verlangte Typhon mit einer Geste, daß ich hinaussähe. Unter uns lag ein wogendes Wolkenmeer mit blauen Schatten, wo es der Sonnenschein nicht rötete.
»Autarch«, sagte ich, »wie kamen wir hierher, wenn das Schiff, in dem wir fuhren, in einen so tiefen Schacht hinabgetaucht ist?«
Er tat meine Frage mit einem Achselzucken ab. »Warum sollte die Schwerkraft der Urth dienen, wenn sie Typhon dienen darf? Dennoch ist die Urth schön. Schau! Siehst du den Mantel der Welt? Ist er nicht hübsch?« »Sehr hübsch«, pflichtete ich ihm bei.
»Es kann dein Mantel sein. Ich habe dir gesagt, ich bin Autarch vieler Welten gewesen. Und werde wieder Autarch sein, und diesmal von noch mehr. Diese Welt, die älteste aller, machte ich zu meinem Sitz. Das war ein Fehler, denn ich verweilte zu lange, als die Katastrophe ausbrach. Als ich fliehen wollte, war mir die Flucht nicht mehr möglich – jene, denen ich das Kommando über solche Schiffe, die zwischen den Sternen fahren, übertragen hatte, waren damit geflohen, und ich wurde auf diesem Berg belagert. Diesen Fehler werd’ ich nicht wieder begehen. Mein Sitz soll woanders sein, und diese Welt sollst du erhalten, um sie als mein Sachwalter zu regieren.«
Ich sagte: »Ich verdiene kein solch hohes Amt.«
»Talismanträger, keinem, nicht einmal dir, bin ich Rechenschaft über mein Walten schuldig. Sieh dir lieber dein Reich an!«
Weit unten war, während er sprach, ein Wind aufgekommen. Die Wolken teilten sich vor seiner Peitsche und sammelten sich wie Soldaten zu dicht geschlossenen Reihen, gen Osten ziehend. Darunter sah ich Gebirge und Ebenen und jenseits der Tiefebenen die feine blaue Küstenlinie.
»Schau!« Typhon deutete, und währenddessen wurde in den Bergen im Nordosten ein nadelfeiner Lichtstrahl sichtbar. »Eine große Energiewaffe ist dort zum Einsatz gekommen«, erläuterte er. »Vielleicht durch den Herrscher dieses Zeitalters. Vielleicht durch seinen Feind. Wer’s auch sein mag, der Standort ist nun bekannt, so daß sie zerstört werden wird. Die Heere dieses Zeitalters sind schwach. Sie werden vor unseren Flegeln aufstieben wie die Spreu beim Dreschen.«
»Wie könnt Ihr all das wissen, Autarch?« fragte ich. »Ihr wart tot, bis ich und mein Sohn zu Euch stießen.«
»Ja. Aber nun lebe ich schon fast einen ganzen Tag und habe meine Gedanken zu fernen Orten gesandt. Es gibt in den Meeren Mächte, welche die Herrschaft anstreben. Sie werden unsere Sklaven sein, und die Horden des Nordens die ihren.«
»Was ist mit den Leuten von Nessus?« Mir klapperten die Zähne und schlotterten die Beine vor Kälte.
»Nessus soll dein Sitz sein, wenn du’s wünschst. Von deinem Thron zu Nessus sendest du mir einen Tribut von schönen Mädchen und Knaben, von altem Gerät und Büchern und allen guten Dingen, welche diese Welt von Urth hervorbringt.«
Er deutete abermals. Ich sah den Garten des Hauses Absolut gleich einem ausgebreiteten grüngoldenen Tuch und dahinter die Mauer von Nessus und die gewaltige Stadt selbst, die Ewige, über aberhundert Meilen ausgestreute Stadt mit dem endlosen Dächermeer und Straßengewirr, worin die Türme der Zitadelle kläglich untergingen.
»Kein Berg ist so hoch«, wandte ich ein. »Wenn dieser der höchste in der Welt wäre und auf der Krone des zweithöchsten stände, so könnte man selbst dann nicht so weit sehen, wie ich’s nun vermag.«
Typhon legte mir die Hand
Weitere Kostenlose Bücher