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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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glaubte einst, es hätte große Macht, aber als ich eine schöne Dame, die im Sterben lag, wiederbeleben wollte, blieb es ohne Wirkung, und gestern konnte ich dem Knaben, der mich begleitete, damit das Leben nicht wiedergeben. Woher hast du davon gewußt?«
    »Ich hab’ euch natürlich beobachtet. Ich kletterte so hoch, um euch gut sehen zu können. Als mein Ring das Kind tötete und du zu ihm gingst, sah ich das heilige Licht. Du brauchst es mir gar nicht in die Hand zu geben, wenn du nicht willst – tu nur, was ich dir sage.«
    »Dann hättest du uns warnen können«, hielt ich ihm vor.
    »Warum sollte ich? Damals habt ihr mir nichts bedeutet. Willst du was essen oder nicht?«
    Ich nahm das Juwel hervor. Schließlich hatten Dorcas und Jonas es gesehen, und wie ich hörte, hatten die Pelerinen es an hohen Festtagen gar in einer Monstranz ausgestellt. Es lag nun in meiner Hand wie eine blaue Glasscherbe; alles Feuer war erloschen.
    Typhon beugte sich neugierig darüber. »Nicht gerade beeindruckend. Nun knie nieder!«
    Ich kniete mich hin.
    »Sprich mir nach: Ich schwöre bei allem, was dieser Talisman mir bedeutet, daß ich für die Speise, die ich erhalte, das Werkzeug dessen sein will, den ich als Typhon kenne, für alle Zeiten …«
    Eine Schlinge zog sich zusammen, neben der Decumans Netz ein plumper erster Versuch war. Diese war so weich, ich spürte sie kaum, und dennoch fühlte ich, daß jeder Strang aus Drahtseil war.
    »… und ihm alles abtrete, was ich habe und was ich sein werde, was ich nun schulde oder dereinst schulden werde, und lebe oder sterbe, wie es ihm gefällt.«
    »Ich habe schon manchen Schwur gebrochen«, sagte ich. »Leiste ich diesen, will ich auch ihn brechen.«
    »Dann leiste ihn«, meinte er. »Es ist eine reine Formalität, die wir einhalten müssen. Leiste ihn, und ich kann dir die Freiheit wiedergeben, sobald du gegessen hast.«
    Ich stand jedoch auf. »Du sagtest, du seist ein wahrheitsliebender Mensch. Nun sehe ich den Grund – die Wahrheit ist’s, die Menschen bindet.« Ich steckte die Klaue wieder weg.
    Hätte ich das nicht getan, wäre sie im nächsten Moment für immer verloren gewesen. Typhon umschlang meinen Leib, wobei er mir die Arme an die Seiten drückte, so daß ich Terminus Est nicht ziehen könnte, und trug mich flugs zu einem der Fenster. Ich wehrte mich aus Leibeskräften, aber ich kam gegen ihn genausowenig an wie ein junges Hündchen gegen die Hände eines starken Mannes.
    Beim Näherkommen glich das Fenster aufgrund seiner Größe immer weniger einem Fenster; es hatte den Anschein, als wäre ein Teil der Außenwelt in die Kammer eingedrungen, wobei dieser Teil nicht aus Feldern und Wäldern am Fuß des Berges, womit ich gerechnet hatte, sondern einem Stück Himmel bestand. Die Felswand der Kammer, keine Elle dick, wich in den Winkeln meines Blickfelds zurück wie die verschwommene Linie, die man sieht, wenn man mit offenen Augen taucht; die Linie, die von der Grenze zwischen dem Wasser und der Luft herrührt.
    Dann war ich draußen. Typhon hatte mich an den Knöcheln gepackt, aber ob wegen der dicken Stiefel oder meiner Panik hatte ich im ersten Moment das Gefühl, überhaupt nicht gehalten zu werden. Ich hing mit dem Rücken zum Fels. Die Klaue in ihrem weichen Säckchen baumelte unter meinen Kopf, nur vom Kinn gehalten. Ich weiß noch, daß mir groteskerweise plötzlich angst um Terminus Est geworden ist, das leicht aus der Scheide hätte gleiten können.
    Mit den Bauchmuskeln zog ich mich hoch wie ein Turner, der mit den Füßen an einer Stange hängt. Typhon ließ einen meiner Knöchel los und versetzte mir einen Schlag ins Gesicht, der mich zurückfallen ließ. Schreiend versuchte ich, mir aus den Augen das Blut zu wischen, das von den Lippen in sie tröpfelte.
    Die Versuchung, mein Schwert zu ziehen, mich wieder hochzustemmen und zuzuhauen, war beinahe unwiderstehlich groß. Dennoch wußte ich, Typhon würde zwangsläufig mein Vorhaben durchschauen und genügend Zeit haben, mich loszulassen. Selbst wenn mir der Hieb gelänge, würde ich in den Tod stürzen.
    »Ich fordere dich auf …«, sprach über mir Typhon, scheinbar unendlich fern in dieser lichten Unermeßlichkeit, »… deinen Talisman um Hilfe anzurufen.«
    Er hielt inne, und jeder Augenblick dauerte schier eine Ewigkeit.
    »Kann er dir helfen?«
    Ich brachte ein lautes »Nein!« zustande.
    »Weißt du, wo du bist?«
    »Hab’s gesehen. Im Gesicht des Felsautarchen.«
    »Es ist mein Gesicht –

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