Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)
einfach die Augen zu und lern, wie ein Kind zu wimmern. Sollte dir doch nicht schwerfallen bei deinem zarten Alter.«
Ich sagte ihm, wo er sich mein Alter hinstecken könnte, da befahl Robert den Weitermarsch.
Als sich die Sonne über der fernen apulischen Ebene dem Horizont zuneigte, näherten wir uns endlich dem Heiligtum. Gerlaine ging voraus, um mit Lando den Posten zu wechseln. Ich fragte mich besorgt, ob die Wachen vor dem Portal sich über ihr ständiges Kommen und Gehen wundern würden. Überhaupt, das ganze verrückte Unternehmen bereitete mir mächtiges Magenkribbeln. Es war, als kröchen wir in die Höhle des Drachen Fafnir, um ihm seinen Goldhort zu stehlen. Und wenn er uns nicht verschlingen würde, dann bestimmt der Christengott. Oder eine Horde Byzantiner, die drinnen auf uns warteten.
An einer Kehre, von wo aus man das letzte Wegstück bis zum Gipfel überblicken konnte, blieben unsere Bogenschützen unter Thores Führung zurück. Dazu noch Herman mit einer Handvoll Männer. Ihre Aufgabe war es, etwaige Verfolger aufzuhalten.
»Es sind nicht mehr viele Leute in der Grotte«, sagte Lando. »Die Wachen sprechen ein wenig Fränkisch, ihr werdet mich also nicht brauchen.«
Mir tat alles weh, deshalb versuchte ich, mich etwas bequemer zurechtzurücken. Reynard versicherte sich, dass die Waffen nicht zu sehen waren. Er breitete noch eine Decke über mich, dann erklommen wir das letzte Stück des Weges. Mein Mund war staubtrocken. Ich schloss die Augen und betete unentwegt zu Thor und Odin, bis das Geschaukel aufhörte und wir anhielten.
»Die Wachen kommen«, raunte Reynard mir zu.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Robert und die anderen von den Pferden stiegen. Männer aus Rainulfs Gruppe würden sie übernehmen. Ich vernahm fremde Stimmen, erst Lombardisch, dann gebrochenes Fränkisch. Sie wollten wissen, wer wir seien.
»Roberto Guiscardo aus Aversa«, hörte ich Robert sagen. »Und dies hier ist mein kleiner Bruder. Er ist schwer krank, und San Michele ist unsere letzte Hoffnung.«
Ich stöhnte leise und bewegte den Kopf hin und her, als könnte ich die Schmerzen kaum ertragen. Als ich durch halbgeschlossene Lider blinzelte, erschrak ich, denn einer der Wachleute starrte mir genau ins Gesicht. Schnell sah ich zur Seite und stöhnte noch einmal. Der Kerl riss mir kurz die Decke vom Leib, um in den Karren zu sehen, dann warf er sie wieder über mich.
»Nicht alle können gehen«, sagte er.
»Natürlich. Nur ich und die Träger der Bahre«, erwiderte Robert fast unterwürfig. »Ist es wahr, das heilige Wasser der Grotte heilt alle Gebrechen?«
Der Wachmann ging auf die Frage nicht ein, meinte nur, wir müssten uns beeilen, denn die Pforte würde bald geschlossen werden.
»Aber Waffen hierlassen!«, befahl er. »Und Eure Krieger sind hier nicht erlaubt. Dies ist ein heiliger Ort. Sie sollen weggehen.«
Ich hörte, wie Robert und die anderen fünf ihre Schwertgürtel ablegten und alles Rainulf anvertrauten. Der würde sich jetzt mit den Pferden und den übrigen Männern zurückziehen, wie die Wachen es verlangt hatten. Ich spürte, wie die Bahre vom Karren gezogen wurde. Langsamen Schrittes trugen sie mich durch das Portal und in die Höhle. Es wurde düster um mich herum. Vorsichtig wagte ich einen Blick.
Wir befanden uns noch in der ersten Felsgalerie hinter einer Biegung, aber nicht weit vom Eingang entfernt. Alles war, wie Lando und Gerlaine es beschrieben hatten. Ein paar Fackeln warfen ihr trübes Licht auf rauhes Kalkgestein. An einigen Stellen hingen feucht glänzende Bündel von langen, steinernen Nadeln von der Decke. Auf Augenhöhe, wo der Fels geglättet worden war, befanden sich Inschriften. Und bei Odin, das waren Runen. Was hatten Runen an einem Christenort zu suchen?
Wir hielten an, um zwei Pilgern den Weg frei zu machen, die im Begriff waren, die Höhle zu verlassen. Neugierig blickten sie sich um, was für einer da wohl auf einer Bahre getragen wurde. Sobald sie verschwunden waren, setzten die Männer mich auf dem Boden ab.
»Los Gilbert!«, zischte Robert.
Ich sprang auf und riss das Fell weg. Alle bückten sich nach ihren Schwertern. Mit pochendem Herzen hob ich mein eigenes auf. Der Griff war noch warm von meinem Leib, und das Gewicht der Waffe in der Hand verlieh mir Mut.
Auf Roberts Befehl rannte Reynard zurück in Richtung Eingang. Sobald er um die Felsbiegung lief, begann er, auf Lombardisch wild nach den Wachen zu brüllen, als wäre etwas Schreckliches passiert.
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